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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Jetzt waren sie in den Ausläufern des Gebirges, und die Ebene lag
hinter ihnen. Es ging aufwärts, und die Bäume wurden dichter - nackte,
reisigdürre Espen und riesige, uralte Kiefern mit Stämmen, so dick wie ein
Haus, ragten über ihren Köpfen empor. Ihr ausladendes Geäst überschattete den
kahlen, mit Kiefernnadeln gepolsterten Boden. Die Luft wehte kalt und feucht
vom Fluss herauf. Wie immer wanderten sie schweigend und spähten zwischen den
Bäumen hindurch. Augen überall.
    Placerville gab es nicht mehr. Es war leicht zu
erkennen, was passiert war. Das enge Tal, der Fluss, der sich hindurchschnitt -
im Frühling, wenn der Schnee schmolz, würde hier ein reißendes Hochwasser
wüten. Wie Moab war auch diese Stadt weggeschwemmt worden.
    Die Nacht verbrachten sie am Flussufer. Sie
spannten die Plastikplane zwischen zwei Bäumen aus, um ein Dach zu haben, und
legten ihre Schlafsäcke auf den weichen Boden. Peter übernahm die dritte Wache,
zusammen mit Michael. Die Nacht war still und kalt und erfüllt vom Rauschen des
Flusses. Peter bemühte sich, trotz der Kälte bewegungslos auf seinem Posten zu
stehen, und dachte an Sara und das Gefühl, das er in dem kurzen Blickwechsel
zwischen ihr und Hollis entdeckt hatte, und er erkannte, dass er sich für die
beiden ehrlich freute. Er selbst hatte seine Chance schließlich schon gehabt,
und offensichtlich liebte Hollis sie so, wie sie es verdiente. Hollis hatte es
ihm praktisch gesagt, begriff er - in der Nacht im Milagro, als Sara entführt
worden war: Peter, gerade du solltest wissen, dass ich
gehen muss. Es waren nicht die Worte allein gewesen, sondern
auch der Ausdruck in seinem Blick: absolute Furchtlosigkeit. In diesem Moment
hatte Hollis alles aufgegeben, und er hatte es für Sara getan.
    Der Himmel wurde fahl, als Alicia unter der
Plane hervor und auf ihn zukam.
    »So«, sagte sie und gähnte entspannt. »Immer
noch hier.« Er nickte. »Immer noch hier.«
    Nach jeder Nacht, die ohne Sichtung verging,
fragte er sich, wie lange ihre Glückssträhne noch anhalten würde. Aber er
dachte nie lange darüber nach; es hieße das Schicksal herauszufordern, wenn er
ihr Glück hinterfragte.
    »Dreh dich um«, sagte Alicia. »Ich muss mal.«
    Er wandte sich ab und hörte, wie Alicia ihre
Hose aufschnallte und sich hinhockte. Zehn Meter weiter flussaufwärts saß
Michael auf dem Boden, an einen Felsblock gelehnt. Peter erkannte, dass er fest
schlief.
    »Was hältst du von dieser Geschichte?«, fragte
Alicia. »Geister und Engel und das alles.«
    »Darüber weißt du genauso viel wie ich.«
    »Peter«, sagte sie tadelnd, »das glaube ich dir
nicht eine Sekunde lang.« Sie machte eine kurze Pause. »Okay, du kannst dich
wieder umdrehen.«
    Er sah sie an. Alicia zog ihren Gürtel fest.
»Deinetwegen sind wir schließlich hier«, stellte sie fest.
    »Ich dachte, Amy ist der Grund.«
    Alicia schaute hinüber zu den Bäumen auf der
anderen Seite des Flusses. »Wir sind Freunde, so lang ich zurückdenken kann,
Peter. Nichts kann daran etwas ändern. Und deshalb bleibt es unter uns, was ich
dir jetzt sage. Verstanden?«
    Peter nickte.
    »In der Nacht bevor wir weggegangen sind, waren
wir beide in dem Trailer vor dem Gefängnis. Du hast mich gefragt, was ich sehe,
wenn ich Amy anschaue. Ich glaube, ich habe nichts darauf geantwortet, und
wahrscheinlich wusste ich es da auch noch nicht. Aber hier ist meine Antwort.
Ich sehe dich, Peter.«
    Sie sah ihn mit durchdringendem, fast
schmerzvollem Blick an. Peter war verblüfft. »Das verstehe ich nicht.«
    »Doch, das verstehst du sehr wohl. Vielleicht
weißt du es nicht, aber du verstehst es. Du sprichst nie über deinen Vater oder
über die Langen Ritte. Ich habe dich nie bedrängt. Aber das heißt nicht, dass
ich nicht wusste, was du wolltest. Du hast dein ganzes Leben lang darauf gewartet,
dass etwas wie Amy kommt. Von mir aus kannst du es Bestimmung nennen oder
Schicksal. Auntie würde wahrscheinlich sagen, es ist die Hand Gottes. Glaub
mir, ich habe diese Reden auch gehört. Ich glaube, es kommt nicht darauf an,
wie du es nennst. Es ist, wir es ist. Du fragst mich, weshalb wir hier sind,
und ich sage, klar, wir sind hier wegen Amy. Aber sie ist nur der halbe Grund.
Und das Komische ist: Alle wissen es, nur du nicht.«
    Peter wusste nicht, was er sagen sollte. Seit
Amy in sein Leben getreten war, fühlte er sich, als habe ihn eine starke
Strömung erfasst, und diese Strömung zog ihn irgendwohin, zog ihn zu etwas, das
er finden

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