Cronin, Justin
musste. Jeder Schritt, den er tat, sagte ihm das. Aber selbst
inmitten dieses Gefühls wusste er, dass jeder von ihnen dabei eine Rolle
gespielt hatte, und vieles war einfach nur Glückssache gewesen.
»Ich weiß nicht, Lish«, sagte er schließlich.
»Es hätte jeder von uns sein können, an dem Tag damals in der Mall. Du hättest
es sein können. Oder Theo.«
Sie winkte ab. »Du traust deinem Bruder zu viel
zu, aber das hast du immer getan. Und wo ist er jetzt? Versteh mich nicht
falsch; ich finde, er hat das Richtige getan. Maus war nicht in der Verfassung
für solch einen langen Marsch. Das habe ich von Anfang an gesagt. Aber das war
nicht der einzige Grund, weshalb er zurückgeblieben ist.« Wieder zuckte sie die
Achseln. »Ich sage das nur, weil du es von irgendjemandem hören musst. Das
hier ist dein Langer Ritt, Peter. Was immer da oben auf dem Berg ist, es wartet
darauf, dass du es findest.«
Sie schwieg. Etwas an der Art, wie sie
gesprochen hatte, beunruhigte ihn. Es klang, als wären es letzte Worte gewesen.
Als wollte sie sich von ihm verabschieden.
»Glaubst du, es geht ihnen gut?«, fragte er.
»Theo und Maus?
»Keine Ahnung. Ich hoffe es.«
»Weißt du ...« Er räusperte sich. »Ich glaube,
Hollis und Sara ...«
»Sind ein Paar?« Sie lachte leise. »Ich dachte,
du hättest es nicht mitgekriegt. Du solltest ihnen sagen, dass du es weißt.
Wenn du mich fragst, wird allen ein Stein vom Herzen fallen.«
Er war völlig verdattert. »Alle wissen es?«
»Peter.« Sie runzelte missbilligend die Stirn.
»Genau das ist es, wovon ich rede. Es ist gut und schön, die Menschheit retten
zu wollen. Aber manchmal könntest du ein bisschen mehr auf das achten, was vor
deiner Nase passiert.«
»Ich dachte, das tue ich.«
»Ja, das dachtest du.
Wir sind ganz gewöhnliche Sterbliche, nichts weiter. Ich habe keine Ahnung, was
da oben auf dem Berg ist, aber eins weiß ich: Wir leben, wir sterben. Und wenn
wir Glück haben, finden wir irgendwo unterwegs vielleicht jemanden, der uns
unsere Last erleichtert. Du solltest ihnen sagen, es ist okay. Sie warten
darauf.«
Er begriff immer noch nicht, warum er so lange
gebraucht hatte, um zu sehen, was mit Sara und Hollis los war. Vielleicht hatte
er es nicht sehen wollen. Als
er Alicia jetzt anschaute, deren Haar in der Morgensonne glänzte, erinnerte er
sich an die Nacht mit ihr auf dem Dach des Kraftwerks, und wie sie dort übers
Heiraten und über Kinder gesprochen hatten. An jene seltsame, außergewöhnliche
Nacht, als Alicia ihm die Sterne geschenkt hatte. Damals war der bloße Gedanke
daran, ein normales Leben zu führen - oder eins, das man so nennen konnte -, so
fern und unerreichbar gewesen wie die Sterne da oben. Jetzt waren sie hier,
mehr als tausend Kilometer von zu Hause entfernt - von einem Zuhause, das sie
wahrscheinlich niemals wiedersehen würden -, und sie waren dieselben Leute,
die sie immer gewesen waren, zugleich aber auch nicht. Denn etwas war passiert: Sie hatten die Liebe entdeckt.
Das war es, was Alicia ihm jetzt sagen wollte,
und dasselbe hatte sie ihm in der Nacht auf dem Dach des Kraftwerks zu sagen
versucht, in der letzten entspannten Stunde, bevor alles passierte. Dass sie
das, was sie taten, aus Liebe taten. Nicht nur Sara und Hollis, sondern sie
alle.
»Lish ...«, begann er.
Aber sie schüttelte den Kopf und schnitt ihm das
Wort ab. Anscheinend war sie plötzlich durcheinander. Hinter ihr traten Sara
und Hollis in den Morgen heraus.
»Wie gesagt, wir alle sind deinetwegen hier«,
sagte Alicia. »Und ich noch mehr als alle andern. Wirst du jetzt Akku wecken,
oder soll ich es tun?«
Sie brachen das Lager ab, und als sie
flussabwärts weiterwanderten, schien die Sonne bis ins Tal hinunter und
durchdrang die Äste der Bäume mit dunstigem Licht.
Es war kurz vor Halbtag, als Alicia, die an der
Spitze ging, plötzlich stehen blieb. Sie hob die Hand, um alle zum Schweigen zu
bringen.
»Lish«, rief Michael von hinten, »warum bleiben
wir stehen?«
»Still!«
Sie schnupperte. Jetzt erreichte der Geruch auch
Peter, ein merkwürdiger und kräftiger Dunst, der in der Nase brannte. »Was ist
das?«, flüsterte Sara hinter ihm.
Hollis deutete mit dem Gewehr über ihre Köpfe
hinweg. »Seht mal da ...«
An den Ästen über ihren Köpfen hingen Dutzende
kleine weiße Gegenstände an langen Strängen, büschelweise wie Trauben. »Was
zum Teufel ist das?«
Aber Alicia schaute jetzt auf den Boden und
inspizierte prüfend den Laubteppich
Weitere Kostenlose Bücher