Cronin, Justin
gab, für den es sich lohnte, die Welt
zu retten. Er wollte sehen, ob Noah dieser Aufgabe gewachsen war. Und das war
er am Ende. Er baute das Schiff, der Himmel tat sich auf, und die Welt wurde
weggeschwemmt. Lange trieben Noah und seine Familie auf dem Wasser herum, und
es sah aus, als seien sie vergessen worden, als habe man ihnen einen
schrecklichen Streich gespielt. Aber als viele Tage vergangen waren, dachte
Gott an Noah und schickte ihm eine Taube, die ihn zum trockenen Land führte,
und die Welt wurde wiedergeboren.« Voller Genugtuung klatschte sie leise in die
Hände. »So. Verstehst du?«
Er verstand gar nichts. Die Geschichte erinnerte
ihn an die Fabeln, die die Lehrerin ihnen vorgelesen hatte, wenn sie im Kreis
gesessen hatten, Geschichten von sprechenden Tieren, die am Ende immer eine
Lehre enthielten. Nett anzuhören und vielleicht auch nicht falsch, aber letzten
Endes zu einfach. Etwas für Kinder.
»Du glaubst mir nicht? Das macht nichts. Eines
Tages wirst du es tun.«
»Es ist nicht so, dass ich dir nicht glaube«,
stammelte Peter. »Entschuldige. Aber es ist ... es ist letztlich nur eine
Geschichte.«
»Vielleicht. Und vielleicht wird man eines Tages
mit genau den gleichen Worten von dir erzählen, Peter. Was sagst du dazu?«
Er wusste es nicht. Es war spät - oder früh; die
Nacht war fast vorbei. Trotz allem, was er erfahren hatte, war er ratloser als
am Anfang.
»Nur mal angenommen«, sagte er, »wenn ich Noah
sein soll, wer ist dann Amy?«
Lacey sah ihn ungläubig an. Es sah aus, als
wollte sie lachen. »Peter, ich muss mich über dich wundern. Aber vielleicht
habe ich es auch nicht richtig erzählt.«
»Nein, du hast nichts falsch gemacht«,
versicherte er ihr. »Ich weiß es einfach nicht.«
Sie beugte sich vor und lächelte wieder -
lächelte auf ihre seltsame, traurige, tiefgläubige Art. »Das Schiff, Peter«,
sagte Lacey. »Amy ist das Schiff.«
Peter versuchte immer noch, sich einen Reim auf
diese geheimnisvolle Antwort zu machen, als Lacey aufschreckte. Sie runzelte
die Stirn, und ihr Blick huschte hin und her.
»Lacey, was ist?«
Doch sie schien ihn nicht gehört zu haben.
Entschlossen stand sie auf.
»Ich fürchte, ich habe zu lange geredet. Bald
ist es hell. Geh sie jetzt wecken, und pack deine Sachen zusammen.«
Er war verdutzt; seine Gedanken schwammen immer
noch in den seltsamen Strömungen der Nacht. »Wir gehen weg?«
Er erhob sich und sah Amy am Vorhang stehen. Ihr
dunkles Haar war verwuschelt. Was immer Lacey aufgestört hatte, hatte auch sie
geweckt. Aus Amys Gesicht sprach eine plötzliche Dringlichkeit.
»Lacey ...«, sagte sie.
»Ich weiß. Er wird versuchen, vor Tagesanbruch
hier zu sein.« Lacey zog ihren Mantel an und warf Peter einen drängenden Blick
zu. »Beeil dich.«
Der Friede der Nacht war plötzlich vorbei, und
an seine Stelle war ein Krisengefühl getreten, das er noch nicht ganz erfassen
konnte. »Lacey, von wem redest du? Wer kommt denn?«
Aber dann sah er Amy an und wusste Bescheid.
Babcock.
Babcock kam.
»Schnell, Peter.«
»Lacey, du verstehst das nicht.« Er fühlte sich
schwerelos und wie betäubt. Womit sollte er kämpfen? Er hatte nicht einmal ein
Messer. »Wir sind völlig unbewaffnet. Ich habe gesehen, wozu er fähig ist.«
»Es gibt Waffen, die mächtiger sind als Gewehre
und Messer«, sagte die Frau. In ihrem Blick lag keine Angst, nur
Zielstrebigkeit. »Es wird Zeit, dass du es siehst.«
»Dass ich was sehe?«
»Das, was du hier gesucht hast«, sagte Lacey.
»Den Weg der Erlösung.«
68
Peter lief durch die Finsternis: Lacey führte
sie weg vom Haus und in den Wald. Ein kalter Wind wehte zwischen den Bäumen
hindurch, ein gespenstisches Seufzen. Eine Mondsichel war aufgegangen und
übergoss die Umgebung mit schaurigem Licht. Die Schatten um ihn herum taumelten
und schwankten. Sie hatten einen Höhenkamm erstiegen, und jetzt ging es bergab.
Der Schnee war tief hier, zu Wehen aufgehäuft und von Harsch überkrustet. Sie
waren an der Südflanke des Berges. Peter hörte den Fluss im Tal.
Er fühlte es, bevor er es sah: eine endlose
Weite öffnete sich vor ihnen, und der Berg fiel steil ab. Reflexhaft streckte
er die Hand nach Amy aus, doch sie war nicht mehr da. Der Abgrund konnte
überall sein. Ein falscher Schritt, und die Dunkelheit würde ihn verschlucken.
»Hier entlang«, rief Lacey vor ihm. »Schnell,
schnell.«
Er folgte ihrer Stimme. Was er für einen
senkrechten Abgrund gehalten hatte, war in
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