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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Erklärung.
Aber er kannte die Wahrheit bereits, und mehr als das: Er spürte, dass es so
sein musste.
    »Das leere Fach. Das war deins, nicht wahr? Die
Ampulle, die Lear dir gegeben hat?«
    Lacey nickte. »Ich glaube ja.«
    Er klappte die Kassette zu. Der Deckel schloss
sich mit solidem Klicken. Er streifte seinen Rucksack ab, zog eine Wolldecke
heraus und wickelte die Kassette darin ein. Dann nahm er eine Handvoll der verpackten
Spritzen von der Theke, und beides schob er in den Rucksack. Am besten wäre es,
gleich bei Tagesanbruch vom Berg hinunterzusteigen. Wie es dann weitergehen
sollte, wusste er nicht. Er sah Amy an.
    »Wie viel Zeit haben wir noch?«
    Sie schüttelte den Kopf: Nicht mehr viel. »Er
ist bereits ganz nah.«
    »Kann er durch diese Tür da kommen, Lacey?« Die
Frau antwortete nicht. »Lacey?«
    »Ich hoffe sehr, dass er es tun wird«, sagte sie.
     
    Sie waren jetzt auf freiem Feld, hoch über dem
Fluss. Peters und Amys Spuren waren verschwunden. Der Schnee hatte sie verweht.
Alicia war vorausgeritten. Inzwischen sollte eigentlich der Morgen dämmern,
dachte Michael. Aber das dunkle Grau, dem sie jetzt scheinbar schon seit
Stunden entgegenritten, wurde nur ganz zögerlich heller.
    »Wo zum Teufel sind sie denn nun?«, fragte
Hollis.
    Michael wusste nicht, ob er Peter und Amy oder
die Virais meinte. Ihm wurde immer klarer, dass sie alle hier oben sterben
würden, dass keiner von ihnen diesen eisigen, öden Ort jemals wieder verlassen
würde. Sara und Greer waren schweigsam; wahrscheinlich dachten sie das Gleiche
wie er, aber wer weiß, vielleicht war es ihnen auch nur zu kalt zum Reden.
Seine eigenen Hände waren so steifgefroren, dass er sein Gewehr vermutlich
nicht mehr würde abfeuern, geschweige denn nachladen können. Er wollte einen
Schluck aus seiner Flasche trinken. Aber das Wasser war gefroren.
    Aus der Dunkelheit kam der Hufschlag von Alicias
Pferd. Sie kam im Trab zurückgeritten und hielt vor ihnen an.
    »Spuren«, sagte sie und deutete mit einer
knappen Kopfbewegung hinter sich. »Da ist eine Lücke im Zaun.«
    Sie riss ihr Pferd herum, ohne auf die andern zu
warten, und galoppierte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war.
Greer folgte ihr wortlos, und die andern bildeten die Nachhut. Alicia ritt
immer schneller durch den Schnee. Michael stieß seinem Pferd die Fersen in die
Flanken und trieb es voran. Sara war an seiner Seite, tief über den Hals ihres
Pferdes gebeugt, um den vorbeistreifenden Ästen zu entgehen.
    Etwas bewegte sich über ihnen in den Bäumen.
    Michael hob den Kopf, und im selben Augenblick
hörte er hinter sich einen Schuss, und ein heftiger Schlag traf ihn in den
Rücken, trieb ihm die Luft aus der Lunge und katapultierte ihn über den Hals
seines Pferdes. Das Gewehr schnellte ihm wie eine Peitsche aus der Hand. Einen
winzigen Augenblick lang schwebte er schmerzlos über der Erde, und im
Hinterkopf registrierte er diese erstaunliche Tatsache, aber der Augenblick
währte nicht lange. Er landete hart auf dem Rücken im Schnee, und sofort gab es
andere Dinge, an die er zu denken hatte. Er sah, dass er geradewegs in der Bahn
seines galoppierenden Pferdes lag, rollte sich zur Seite und bedeckte den Kopf
mit den Händen, als könnte ihn das schützen. Er fühlte den reißenden Luftstrom,
als das panische Tier über ihn hinwegflog, der Boden bebte unter den Hufen, und
einer verfehlte sein Ohr nur um eine Handbreit.
    Dann war es weg. Alles war weg.
    Michael sah den Viral, als er sich aufrichtete.
Vermutlich war es derselbe, der ihn vom Pferd geschleudert hatte. Die Kreatur
hockte ein paar Meter weiter auf den Hinterbacken wie ein Frosch. Seine
Unterarme waren im Schnee vergraben, und das grünliche Licht der Bioluminiszenz
schimmerte hindurch, als säße das Wesen halb untergetaucht in einem Tümpel mit
blaugrünem Wasser. Schnee klebte wie glitzernder Staub an seiner Brust und
seinen Armen, und dünne Rinnsale liefen ihm über sein Gesicht. Michael begriff,
dass er Schüsse hörte, deren Echo verstreut über die Anhöhe wehte, und
dazwischen Stimmen, die seinen Namen riefen. Es klang wie ein Lied, aber alle
diese Geräusche konnten ebenso gut Signale von einem fernen Stern sein. Genau
wie die endlose Dunkelheit um ihn herum - auch sie war aus seinem Bewusstsein
verschwunden, hatte sich zerstreut wie die Moleküle einer expandierenden Gaswolke
- betrafen sie scheinbar eine ganz andere Person. Der Viral hatte jetzt
angefangen zu schnalzen und die Kiefermuskeln

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