Cronin, Justin
ihr das Kind abzunehmen.
Das Kind. Amy - Nachname unbekannt. Sie konnte
nicht mehr als sechs Jahre alt sein.
Wolgast war kurz davor gewesen, alles
abzublasen, aber dann hatte die junge Schwester das Mädchen losgelassen, und
die Oberin hatte sie Doyle gegeben, der sie zum Wagen trug, bevor Wolgast noch
ein Wort sagen konnte. Danach blieb ihnen nichts anderes übrig, als so schnell
wie möglich zu verschwinden, bevor man anfing, Fragen zu stellen. Der Himmel
wusste, wie viele Zeugen dabei gewesen waren. Es war alles ziemlich schnell
gegangen.
Er musste den Wagen loswerden. Er musste Sykes
anrufen. Er musste dafür sorgen, dass sie aus Tennessee verschwanden - in
dieser Reihenfolge, und zwar schleunigst. Amy lag quer über dem Rücksitz, nach
hinten gewandt, und umklammerte den Stoffhasen, den sie aus ihrem Rucksack
gezerrt hatte. Gütiger Gott, was hatte er da getan? Ein sechsjähriges Mädchen!
In einer tristen Gegend voller Wohnblocks und
Ladenzeilen hielt er an einer Tankstelle an und stellte den Motor ab. Er drehte
sich zu Doyle um. Sie hatten kein Wort miteinander gesprochen, seit sie den Zoo
verlassen hatten.
»Was zum Teufel ist in Sie gefahren?«
»Brad, hören Sie zu ...«
»Sind Sie verrückt geworden? Sehen Sie doch hin.
Das ist ein Kind.«
»Es ist einfach passiert.« Doyle schüttelte den
Kopf. »Alles war völlig verrückt. Okay, kann sein, dass ich Mist gebaut habe,
das gebe ich zu. Aber was hätte ich tun sollen?«
Wolgast atmete tief durch. »Warten Sie hier.«
Er stieg aus und wählte Sykes' abhörsichere
Nummer. »Wir haben ein Problem.«
»Sie haben sie?«
»Ja, wir haben sie. Sie ist ein Kind. Was soll der Scheiß?«
»Ich weiß, dass Sie verärgert sind ...«
»Da haben Sie verdammt recht, ich bin verärgert!
Und wir hatten ungefähr fünfzig Zeugen, angefangen mit den Nonnen. Ich habe
gute Lust, das Kind am nächsten Polizeirevier abzusetzen.«
Sykes schwieg für einen Moment. »Sie müssen sich
jetzt zusammenreißen, Wolgast. Bringen Sie sie erst mal aus Tennessee raus.
Dann überlegen wir uns, was als Nächstes passiert.«
»Gar nichts passiert als Nächstes. Das hier ist
nicht das, wozu ich mich bereiterklärt habe.«
»Ich kann hören, dass Sie aufgebracht sind. Das
ist Ihr gutes Recht. Wo sind Sie?«
Wolgast holte tief Luft und brachte seine Wut
unter Kontrolle. »An einer Tankstelle. South Memphis.«
»Ist sie wohlauf?«
»Körperlich ja.«
»Tun Sie jetzt nichts Dummes.«
»Wollen Sie mir drohen?« Aber noch während er
sprach, begriff Wolgast mit plötzlicher, schauriger Klarheit, was Sache war.
Der Augenblick zum Aussteigen war vorüber. Er war im Zoo verstrichen. Sie waren
jetzt alle auf der Flucht.
»Das muss ich gar nicht«, sagte Sykes. »Warten
Sie auf meinen Anruf.«
Wolgast trennte die Verbindung und betrat die
Tankstelle. Der Tankwart, ein schlanker Inder mit einem Turban, saß hinter
einer kugelsicheren Scheibe und sah sich eine religiöse Show im Fernsehen an.
Das Mädchen hatte wahrscheinlich Hunger. Wolgast nahm eine Packung Cracker und
eine Schokoladenmilch und ging damit zur Theke. Er blickte hoch und sah die
Kameras, als das Telefon an seiner Hüfte summte. Er bezahlte eilig und ging
hinaus.
»Ich kann Ihnen einen Wagen in Little Rock
besorgen«, sagte Sykes. »Jemand vom Außenbüro kann sich mit Ihnen treffen, wenn
Sie mir eine Adresse nennen.«
Bis Little Rock waren es mindestens zwei
Stunden. Zu lange. Zwei Männer in Anzügen, ein kleines Mädchen, ein schwarzer
Wagen, so unauffällig, dass er nicht auffälliger hätte sein können. Und
wahrscheinlich hatten die Nonnen auch die Autonummer. Nie im Leben würden sie
am Scanner an der Brücke vorbeikommen. Wenn das Mädchen als entführt gemeldet
worden war, würde man über Rundfunk und Fernsehen nach ihnen fahnden.
Wolgast sah sich um. Auf der anderen
Straßenseite war ein Gebrauchtwagenhandel, über dessen Parkplatz bunte Fahnen
flatterten. Die meisten Autos waren Schrottkarren, alte Benzinschlucker, die
sich kein Mensch mehr leisten konnte. Ein altmodischer Chevy Tahoe, der mindestens
zehn Jahre auf dem Buckel hatte, parkte der Straße zugewandt. Auf der
Frontscheibe standen die Worte »Bequeme Raten«.
Wolgast erklärte Sykes, was er tun wollte. Dann
ging er zum Wagen, gab Doyle die Milch und die Cracker für Amy und überquerte
im Laufschritt die Hauptstraße. Ein Mann mit einer riesigen Brille und
flatternden, quer über den kahlen Schädel gekämmten Haarsträhnen kam aus
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