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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Parkplatzes stand. Durch
das Heckfenster sah er Doyle, aber nicht die Kleine; er hatte ihr befohlen,
sich auf den Rücksitz zu legen. Er wollte jetzt wirklich weiter und keine Zeit
verlieren. Was die Tasche anging - vielleicht brauchte er sie, vielleicht auch
nicht. Aber der Entschluss, sie hier zu lassen, fühlte sich richtig an.
    »Erzählen Sie im Büro, was Sie wollen«, sagte
er. »Was ich wirklich gebrauchen könnte, wären ein paar Malbücher.«
    »Wie bitte?«
    Wolgast hätte gelacht, wenn er in der Stimmung
dazu gewesen wäre. Er legte die flache Hand auf den Kofferraumdeckel und
drückte ihn zu.
    In der Tasche waren natürlich Waffen und
Munition und vielleicht zwei kugelsichere Westen. Wahrscheinlich auch noch eine
für das Mädchen; es gab jetzt eine Firma in Ohio, die welche für Kinder
herstellte - nach dieser Sache in Minneapolis. Wolgast hatte in der »Today
Show« etwas darüber gesehen. Sie hatten sogar einen Strampelanzug aus Zylon für
Säuglinge im Programm. Was für eine Welt, dachte er.
    Jetzt, als Little Rock hinter ihnen lag, war er
immer noch froh, dass er die Tasche nicht mitgenommen hatte. Was immer
passieren würde, würde passieren, und halb wünschte er sich, dass man ihn
stoppen möge. Hinter Little Rock hatte er die Tachonadel auf achtzig klettern
lassen, und nur unklar war ihm bewusst gewesen, was er da tat: dass er einen
Highwaybullen oder zumindest einen Ortspolizisten, der hinter einer
Reklametafel lauerte, herausforderte, der ganzen Sache ein Ende zu machen.
Aber dann hatte Doyle ihn ermahnt, langsamer zu fahren - Yo,
Chief, sollten Sie nicht ein bisschen vom Gas gehen? -,
und sofort war er wieder klar im Kopf gewesen. Er hatte sich die Szene
regelrecht ausgemalt: die Blinklichter, ein kurzes, scharfes Aufjaulen der
Sirene, und wie er dann rechts heranfuhr, die Hände oben auf das Lenkrad legte
und im Rückspiegel zusah, wie der Officer über Funk Wolgasts Kennzeichen
durchgab. Zwei Männer und ein Kind in einem Fahrzeug mit einem vorläufigen
Kennzeichen aus Tennessee. Es würde nicht lange dauern, bis die Polizei eins
und eins zusammengezählt und sie mit der Nonne und dem Zoo in Verbindung
gebracht hätte. Aber wenn er sich die Szene vorstellte, kam er nicht über
diesen Augenblick hinaus: der Cop mit einer Hand am Mikro und der andern auf
dem Kolben seiner Pistole. Was würde Sykes tun? Würde er zugeben, dass er von
ihnen wusste? Nein - er und Doyle würden in den Shredder wandern wie Anthony
Carter.
    Und was aus dem Kind werden würde, wusste er
nicht.
    Sie hatten Oklahoma City am nordöstlichen Rand
umfahren, waren dem Checkpoint an der 1-40 ausgewichen und hatten die 1-35 auf
einer kleinen Landstraße gekreuzt, weit entfernt von allen Kameras. Der Tahoe
war nicht mit einem Navigationssystem ausgestattet, aber Wolgast hatte eins in
seinem BlackBerry. Er lenkte mit der einen Hand und tippte mit dem Daumen der
andern flink auf den winzigen Tasten des Geräts, und die Route entwickelte
sich während der Fahrt, ein Netz aus County-Straßen und State Highways und
manchmal auch nur Schotterstraßen und festgefahrenen Lehmwegen, das sie
abwechselnd nach Norden und nach Westen führte. Jetzt lagen nur noch ein paar
Kleinstädte zwischen ihnen und der Grenze nach Colorado - Städte mit Namen
wie Virgil und Ricochet und Buckrack, halb verlassene Oasen in einem Meer von
hohem Präriegras, die wenig mehr vorzuweisen hatten als einen Mini Mart, zwei
Kirchen und ein Getreidesilo, und dazwischen die meilenweite Ebene. Ein Land,
das man sonst nur vom Flugzeug aus sah; das Wort, das ihm dabei einfiel, war ewig. Vermutlich sah es mehr oder weniger so aus, wie es immer
schon ausgesehen hatte und wie es für alle Zeit weiter aussehen würde. In solch
einer Gegend konnte man mühelos verschwinden, ein neues Leben beginnen, ohne
dass eine Menschenseele es bemerkte.
    Wenn das alles vorbei wäre, dachte Wolgast,
würde er vielleicht wieder herkommen. Vielleicht würde er eine solche Gegend
brauchen.
    Amy war so still auf dem Rücksitz, dass man ihre
Anwesenheit leicht hätte vergessen können. Das mit dem Mädchen war ein Fehler.
Ein sechsjähriges Kind! Sechs! Der verfluchte Sykes, dachte Wolgast. Das
verfluchte FBI, der verfluchte Doyle - und wenn er schon dabei war, konnte er
sich auch gleich selbst verfluchen. Wie Amy so auf dem breiten Rücksitz lag und
das Haar über ihre Wange floss, sah sie aus, als schlafe sie, doch das glaubte
Wolgast nicht. Sie tat nur so und beobachtete ihn wie eine

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