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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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unübersehbar wie die Nase in deinem Gesicht.« Sie gab
ihrem Mann einen Rippenstoß. »Ist sie nicht süß, Earl?«
    Der Mann nickte. »Kann man wohl sagen.«
    »Wie heißt du denn, Herzchen«?«, fragte die
Frau.
    »Amy.«
    Die Frau sah wieder Wolgast an. »Ich habe eine
Nichte in ihrem Alter, und sie ist nicht halb so wortgewandt. Sie können sehr
stolz sein.«
    Wolgast war zu verblüfft, um zu antworten. Ihm
war, als sei er immer noch auf dem Octopus, wo gewaltige Fliehkräfte Geist und
Körper durchschüttelten. Er dachte an Doyle und fragte sich, ob er irgendwo in
der Menge stand und diese Szene beobachtete. Aber es scherte ihn nicht: Sollte
Doyle nur zuschauen.
    »Wir fahren nach Colorado«, erzählte Amy und
drückte seine Hand verschwörerisch. »Zu meiner Großmutter.«
    »Wirklich? Na, deine Großmutter ist ein
Glückspilz, wenn ein Mädchen wie du sie besuchen kommt.«
    »Sie ist krank. Wir müssen sie zum Arzt
bringen.«
    Mitfühlend verzog die Frau das Gesicht. »Das tut
mir leid.« Sie wandte sich an Wolgast und flüsterte beinahe. »Ich hoffe, es
ist alles in Ordnung. Wir werden für Sie beten.«
    »Danke«, brachte er hervor.
    Sie fuhren noch dreimal mit dem Octopus. Dann
gingen sie weiter und machten sich auf die Suche nach etwas Essbarem. Wolgast
konnte Doyle nirgends entdecken; entweder beschattete er sie wie ein Profi,
oder er hatte beschlossen, sie in Ruhe zu lassen. Hier waren viele hübsche
Frauen unterwegs. Vielleicht, dachte Wolgast hoffnungsvoll, hatte er sich
ablenken lassen.
    Er kaufte einen Hotdog für Amy, und sie setzten
sich zusammen an einen Picknicktisch. Er sah ihr beim Essen zu: drei Bissen,
vier Bissen, und der Hotdog war weg. Er kaufte ihr einen zweiten, und als der
gegessen war, noch einen mit Puderzucker bestreuten Kuchen und eine Milch.
Nicht eben eine gesunde Mahlzeit, aber zumindest hatte sie die Milch.
    »Was jetzt?«, fragte er sie.
    Amys Wangen waren mit Puderzucker und Fett
beschmiert. Sie wollte sie mit dem Handrücken abwischen, aber Wolgast hielt sie
fest. »Nimm eine Serviette.« Er reichte ihr eine.
    »Karussell«, sagte sie.
    »Wirklich? Das kommt mir nach dem Octopus aber
ziemlich zahm vor.«
    »Gibt's hier eins?«
    »Bestimmt.«
    Das Karussell, dachte Wolgast. Natürlich. Der
Octopus war für den einen Teil ihrer selbst, für den erwachsenen Teil, der
beobachtete und abwartete und die Frau in der Warteschlange mit selbstsicherem
Charme belog. Das Karussell war für die andere Amy, für das kleine Mädchen, das
sie in Wirklichkeit war. Im Bann dieses Abends voller Lärm und Lichter hätte er
sie gern vieles gefragt: Wer sie wirklich war, wer ihre Mutter war, wer ihr
Vater, falls sie einen hatte. Nach der Nonne Lacey, nach dem, was da im Zoo
passiert war, nach dem Irrsinn auf dem Parkplatz. Wer bist du, Amy? Was hat
dich hergebracht, was hat dich zu mir geführt? Und woher weißt du, dass ich
Angst habe, dass ich die ganze Zeit Angst habe? Sie nahm wieder seine Hand, als
sie weitergingen; es war ein elektrisierendes Gefühl, sie zu berühren - als
gehe ein warmer Strom von ihr aus, der sich in seinem ganzen Körper ausbreitete,
während sie weitergingen. Als sie das leuchtende Karussell mit den buntbemalten
Pferden sah, spürte er tatsächlich, wie ihre Freude in ihn herüberströmte.
    Lila, dachte er, Lila,
das war es, was ich mir gewünscht habe. Hast du das gewusst? Es ist das
Einzige, was ich mir je gewünscht habe. Er reichte dem
Karussellführer ihre Tickets. Amy suchte sich ein Pferd am Rand aus, einen
weißen Lipizzaner-Hengst, im Aufbäumen erstarrt; in seinem grinsenden Maul
leuchteten Keramikzähne. Das Karussell war fast leer. Es war schon nach neun,
und die ganz kleinen Kinder waren inzwischen nach Hause gebracht worden. »Du
musst neben mir stehen«, befahl Amy.
    Er gehorchte, legte eine Hand an die Stange und
die andere auf das Zaumzeug des Pferdes, als wolle er es führen. Ihre Beine
waren zu kurz, um die Steigbügel zu erreichen, die lose hin und her baumelten.
Er ermahnte sie, sich gut festzuhalten.
    In diesem Augenblick sah er plötzlich Doyle. Er
stand keine dreißig Schritte weit entfernt hinter einer Reihe Strohballen am
Rande des Bierzelts und redete nachdrücklich auf eine junge Frau mit wilden roten
Haaren ein. Er erzählte ihr eine Geschichte, das sah Wolgast, und dabei gestikulierte
er mit seinem Becher, um eine Pointe zu unterstreichen oder einen Witz
vorzubereiten. Er ging auf in der Rolle des gutaussehenden
Faseroptikvertreters aus

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