Cronin, Justin
harmlose Midwest-Gesicht.
»Ich dachte, wir hätten Sie verloren«, sagte er.
»Wir wollten Sie gerade suchen gehen.«
Doyle warf einen kurzen Blick zurück zu dem
Bierzelt. »Tja, wissen Sie«, sagte er, »bin da in eine kleine Unterhaltung
geraten.« Er lächelte ein bisschen schuldbewusst. »Nette Leute hier in der
Gegend. Richtige Plaudertaschen.« Er deutete auf Wolgasts nasse Hosenbeine.
»Was ist passiert? Sie sind ganz nass.«
Einen Augenblick lang sagte Wolgast gar nichts.
»Pfützen«, erklärte er dann und versuchte Doyles Blick standzuhalten. »Vom
Regen.« Es gab vielleicht noch eine Chance, wenn es ihm irgendwie gelingen könnte,
Doyle auf dem Weg zum Wagen abzulenken. Aber Doyle war jünger und stärker als
er, und Wolgast hatte seine Waffe im Auto gelassen.
»Vom Regen«, wiederholte Doyle. Er nickte, und
in diesem Moment sah Wolgast es ihm am Gesicht an: Er wusste es. Er hatte es
die ganze Zeit gewusst. Das Bierzelt war ein Test gewesen, eine Falle. Er hatte
ihn und Amy nie aus den Augen gelassen, nicht eine Sekunde lang. »Verstehe.
Na, wir haben einen Auftrag zu erledigen, nicht wahr, Chief?«
»Phil ...«
»Nicht.« Seine Stimme klang ruhig - nicht
bedrohlich, nur sachlich. »Sprechen Sie es gar nicht aus. Wir sind Partner,
Brad. Jetzt wird's Zeit, dass wir fahren.«
Wolgasts Hoffnungen brachen mit einem Schlag
zusammen. Amys Hand lag immer noch in der seinen; er ertrug es nicht, sie auch
nur anzusehen. Es tut mir leid, dachte
er und sandte ihr diese Botschaft durch seine Hand. Es
tut mir leid. Doyle blieb fünf Schritte hinter ihnen,
als sie durch den Ausgang auf den Parkplatz zugingen.
Keiner von ihnen bemerkte den Mann - den
dienstfreien Highway-Polizisten, der zwei Stunden zuvor die Meldung über zwei
männliche Weiße gesehen hatte, die im Zoo von Memphis ein kleines Mädchen
entführt hatten. Der Mann hatte anschließend Feierabend gemacht und war zur
Highschool gefahren, um sich mit seiner Frau zu treffen und seinen Kindern auf
dem Autoscooter zuzusehen - und nun folgte ihnen sein Blick.
9
Ich hieß ... Fanning.
Den ganzen Tag über lagen ihm diese Worte auf
den Lippen. Als er um acht Uhr aufwachte, als er duschte und sich anzog und
frühstückte und auf dem Bett in seinem Zimmer saß, durch die Kanäle zappte,
seine Parliaments rauchte und auf die Nacht wartete - den ganzen Tag über hörte
er nur das:
Fanning. Ich hieß Fanning.
Grey sprach es nicht aus. Der Name war keiner,
den er kannte. Er war nie jemandem begegnet, der Fanning hieß - oder so ähnlich
wie Fanning. Nicht, soweit er sich erinnern konnte. Und trotzdem hatte der Name
sich, während er schlief, irgendwie in seinem Kopf festgesetzt, als habe er
beim Einschlafen einen Song gehört, der immer und immer wieder abgespielt
wurde, bis der Text eine Furche in sein Hirn pflügte, und jetzt hing ein Teil seines
Verstandes in dieser Furche fest und kam nicht wieder heraus. Fanning? Was zum
Teufel ...? Er musste an den Gefängnispsychiater denken, an Dr. Wilder, der
ihn in einen Zustand, tiefer als der Schlaf, geführt hatte, in den Raum, den er
»Verzeihen« nannte, und an das langsame tap-tap-tap seines
Stifts auf der Schreibtischplatte, dieses Geräusch, das in ihm herumspukte.
Jetzt konnte Grey nicht mehr das Fernsehprogramm wechseln oder sich am Kopf
kratzen oder eine Zigarette anzünden, ohne die Worte zu hören, und ihr
synkopischer Rhythmus bildete den Takt zu jedem noch so kleinen Handgriff, den
er tat.
(Schnipp) Ich ... (anzünden) hieß ... (ziehen)
Fanning ... (ausatmen).
Er saß da und rauchte und wartete und rauchte
wieder. Was zum Teufel war los mit ihm? Er fühlte sich anders, und die
Veränderung war nicht gut. Nervös, als sei er irgendwie aus dem Takt geraten.
Normalerweise konnte er einfach still dasitzen und buchstäblich gar nichts
tun, während die Stunden verstrichen - das hatte er in Beeville ziemlich gut
gelernt: ganze Tage in gedankenloser Trance dahinfließen zu lassen. Aber heute
ging es nicht. Heute fühlte er sich zappelig wie ein Käfer in der Bratpfanne.
Er versuchte fernzusehen, doch die Worte und die Bilder schienen nichts
miteinander zu tun zu haben. Der Nachmittagshimmel draußen vor den Fenstern
der Baracke sah aus wie altes Plastik, ein verwaschenes Grau. Grau wie Grey.
Ein Tag, der tadellos dazu geeignet war, die Stunden zu verdösen. Aber hier saß
er auf der Kante seines ungemachten Betts und vibrierte innerlich wie eine
Maultrommel.
Außerdem hatte er das Gefühl,
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