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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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herauszuziehen.
    Die Mutter des Mädchens hatte jemanden
umgebracht, einen Jungen. Das hatte der Detective ihr gesagt. Der Detective
hieß Dupree, ein junger Kerl mit einem borstigen kleinen Bart, und er hatte
höflich mit ihr gesprochen; sein Tonfall hatte ein bisschen nach Old New
Orleans geklungen, was bedeutete, dass er wahrscheinlich katholisch war, und er
hatte sie Dawlin' und Cher genannt - aber hatte Schwester Arnette nicht den gleichen
Eindruck von den beiden anderen Männern gehabt, als sie vor der Tür gestanden
hatten? Wolgast und der andere, gut aussehende? Deren Gesichter sie auf dem
körnigen Video wiedergesehen hatte, das Dupree ihr gezeigt hatte, aufgenommen
irgendwo in Mississippi, als die beiden (vermutete sie) dachten, dass niemand
sie beobachtete? Dass sie nette Männer waren, weil sie nett aussahen? Und die
Mutter, das hatte Detective Dupree ihr erzählt, die Mutter war eine Prostituierte. »Eine Hure ist eine tiefe Grube, und eine Ehebrecherin ist
ein enger Brunnen. Auch lauert sie wie ein Räuber, und die Frechen unter den
Menschen sammelt sie zu sich.« Buch der Sprüche, Kapitel 23. »Denn die Lippen
der Hure sind süß wie Honigseim, und ihre Kehle ist glätter als Öl, aber
hernach bitter wie Wermut und scharf wie ein zweischneidiges Schwert. Ihre Füße
laufen zum Tod hinunter; ihre Gänge führen ins Grab.«
    Zum Tod hinunter. Bei
diesen Worten erschauerte Schwester Arnette in ihrem Bett. Die Hölle war real,
sie war eine Tatsache, und die gepeinigten Seelen wanden sich dort in alle
Ewigkeit. Eine solche Frau hatte Lacey in ihre Küche geführt, sie hatte vor
nicht mehr als sechsunddreißig Stunden in ihrem Haus gestanden, eine Frau,
deren Füße zum Tod hinunterliefen. Die
Frau hatte den Jungen irgendwie betört - diesen Teil mochte Arnette sich nicht
weiter vorstellen - und ihn dann erschossen, hatte ihm mit einem Revolver in den Kopf geschossen
und ihr Kind dann zu Lacey gebracht, während sie selbst flüchtete, ein Kind,
das Gott-weiß-was in sich hatte. Denn es stimmte: Sie hatte etwas ... Unirdisches
an sich gehabt. Es war kein schöner Gedanke, aber es war so. Wie sonst sollte
man erklären, was im Zoo passiert war, wo alle Tiere übergeschnappt waren und
einen solchen Aufruhr verursacht hatten?
    Alles war furchtbar. Furchtbar furchtbar
furchtbar.
    Arnette schloss die Augen, aber es brachte
nichts: Noch immer hörte sie das Brummen der Generatoren in den
Übertragungswagen, und durch den Schleier ihrer geschlossenen Lider sah sie das
gierige Licht der Scheinwerfer, das sie überflutete. Sie wusste, was sie sehen
würde, wenn sie den Fernseher einschaltete: Reporter, die mit ernster Stimme in
ihre Mikrofone sprachen und auf das Haus hinter sich deuteten, wo Arnette und
die anderen Schwestern jetzt auf verlorenem Posten darum kämpften, zu schlafen.
Als Tatort würden sie es bezeichnen, wenn sie von den neuesten Entwicklungen in
dieser sensationellen Mord- und Entführungsgeschichte berichteten, in die
offensichtlich auch Beamte der Bundespolizei verwickelt waren - obwohl Dupree
den Schwestern strengstens verboten hatte, über diesen Teil der Angelegenheit
mit irgendjemandem zu sprechen. Als die Schwestern mit dem Polizeibus, der sie
vom Revier zurückgebracht hatte, sprachlos vor Erschöpfung zu Hause angekommen
waren und mindestens ein Dutzend Übertragungswagen aufgereiht wie eine
Zirkuskolonne vor dem Haus gesehen hatten, da war es Schwester Claire gewesen,
der aufgefallen war, dass es sich nicht nur um die Lokalsender aus Memphis
handelte, nein, sie kamen von weit her, aus Nashville und Paducah und Little
Rock, ja sogar aus St. Louis. Kaum waren sie in die Zufahrt eingebogen, hatten
sich Schwärme von Reportern auf den Bus gestürzt, ihre Scheinwerfer und Kameras
und Mikrofone auf sie gerichtet und sie mit dem wütenden Gebell ihrer
unverständlichen Fragen überschüttet. Diese Leute besaßen keinen Anstand.
Schwester Arnette bekam solche Angst, dass sie zitterte. Zwei Polizisten waren
nötig gewesen, um das Pack vom Grundstück zu vertreiben - Seht
ihr nicht, dass das Nonnen sind? Müsst ihr einen Haufen Nonnen belästigen?
Alles zurück jetzt, und zwar sofort! Nur so konnten die
Schwestern wohlbehalten ins Haus gelangen.
    Ja, die Hölle gab es wirklich, und Arnette war
mittendrin.
    Danach hatten sie zusammen in der Küche
gesessen; keine war hungrig, aber trotzdem mussten sie irgendwo sein - alle
außer Lacey, die Claire geradewegs hinauf in ihr Zimmer gebracht hatte,

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