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Crossfire 1: Kontakt

Crossfire 1: Kontakt

Titel: Crossfire 1: Kontakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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ihre Hand und klammerte sich daran fest.
    Er führte sie ziellos durch den Nieselregen.
Schließlich stoppte er vor dem unsichtbaren Wall hinter der
Stelle, an der die Gleiter gelandet waren. Vor zwölf Stunden
oder vor vierzehn? Es schien schon Tage her zu sein. Irgendwo in der
nassen Finsternis befand sich Beta unter seiner Kuppel, an der das
Wasser herabfloss, das die Ranke niemals würde berühren
können. Jake zog Lucy in die Hocke und zu sich herab, mit dem
Rücken gegen das Kraftfeld gelehnt. Sie zogen die Thermodecke
über ihre Köpfe.
    »Jake, was ist los?«
    »Ich muss dir was erzählen.«
    Er spürte, dass sie darauf wartete, dass er weitersprach.
    »Ich muss dir etwas erzählen, aber es ist nicht leicht,
das zu tun. Ich will, dass jemand – dass du die Wahrheit
erfährt, bevor ich draufgehe.«
    Sanft sagte sie: »Wir werden nicht sterben.«
    Gott, wie tapfer sie war! Er versuchte, ihr den Mut nicht zu
nehmen. »Vielleicht nicht. Trotzdem will ich, dass du es
weißt. Dass du weißt, welche Art Mensch ich bin.« Und dann wirst du mich nicht mehr lieben. Aber das war eine
Gefahr, die einzugehen er jetzt bereit war.
    »Ich hatte einen Bruder. Zwölf Jahre jünger als
ich. Er war… na ja, ein wilder Kerl. Unsere Eltern starben, als
ich neunzehn war und Donnie sieben. Wir waren arm, und wir hatten
sonst niemanden. Also habe ich Donnie aufgezogen. Nein, das stimmt so
nicht… Donnie hat sich selbst aufgezogen. Ich war zu sehr mit
dem College beschäftigt und dann mit dem Jurastudium. Ich tat
nicht mehr, als Lebensmittel zu kaufen und ihm Geld fürs
Mittagessen zu geben. Als er zehn war, verbrachte Donnie einen
Großteil seiner Zeit auf den Straßen, mit vorhersehbarem
Ergebnis.«
    »Jake, das war nicht deine…«
    »Hör einfach zu, bitte. Donnie hatte mit vierzehn schon
ein ansehnliches Vorstrafenregister. Ich hatte eben mein letztes
Examen bestanden und versuchte, häufiger zu Hause zu sein. Aber
es war unmöglich. In Atlanta, wo wir lebten, wurde es schlimmer
und schlimmer, und Donnie blieb tagelang einfach verschwunden. Also
steckte ich ihn gegen seinen Willen in eine pseudomilitärische
Schule in Virginia, einen jener Orte, wo sie schwierige Kinder
angeblich auf eine Karriere in der Raumfahrt vorbereiten. Disziplin
und Leistungsbereitschaft. Ziele. All der Unfug, an den ich damals
noch geglaubt habe.
    Zunächst schien es auch zu funktionieren. Er fand neue
Freunde – nicht mehr den Abschaum von der Straße, sondern
Kinder aus angesehenen Familien. Er verbrachte seine Zeit mit Hobart
Sullivan Dalton III.«
    Jake wartete, aber es kam keine Reaktion von Lucy. Der Regen wurde
wieder stärker.
    »Du hast noch nie von dem Dalton-Mord gehört? Die
Daltons waren eine wohlhabende Familie. Mehr als wohlhabend. Sie
waren das, was die Leute meinten, wenn sie sagten, dass die Reichen
so viel genommen hätten, dass sie nicht nur die Armen, sondern
die Erde selbst ausgebeutet hätten. Anna Standish Dalton war
Witwe, und Hobart war ihr jüngster Sohn. Die beiden älteren
Kinder waren brave kleine Blutsauger, aber Hobart hatte beschlossen,
dass es lustiger wäre, seine Angehörigen zu plagen, als die
Vorteile seines Lebens zu nutzen.«
    »Wie Nan Frayne«, bemerkte Lucy.
    »Das ist nicht… na, egal. Möglicherweise. Hobart
und Donnie taten sich zusammen und stahlen innerhalb der Schule,
außerhalb der Schule und überall, wo es was zu stehlen
gab. Sie wurden schließlich der Schule verwiesen. Sie schickten
Donnie nach Hause, und ich machte ihm die Hölle heiß. Also
riss er aus und tauchte mit Hobart in den Hightech-Slums des
nördlichen Virginia unter. Er mailte mir dann und wann, und
irgendwann setzte ich einen Hacker auf seine elektronische
Fährte und spürte ihn auf. Bis dahin vergingen einige
Jahre, denn ich hatte meine eigenen Schwierigkeiten. Meine Frau und
ich steckten mitten in einer hässlichen Scheidung
und…«
    »Deine… Frau?«
    »Rania.« Es war eine seltsame Vorstellung, dass Rania
nun schon seit Jahrzehnten tot und begraben war, dort auf dieser
unwirklichen Erde, die sie in der Zeitdilatation hinter sich gelassen
hatten. »Wir hatten nicht viel Geld, aber sie wollte alles
davon. Ich wollte es ihr nicht geben. Wir verbrachten viel Zeit
damit, einander zu bekämpfen, und Donnie ging in dem
Schlachtengetümmel verloren.
    Als ich ihn in Virginia wiederfand, flog ich mit dem Lufttaxi
dorthin und nahm mir vor Ort ein Hotelzimmer. Dann widmete ich mich
dem vollkommen aussichtslosen Versuch, ihn dazu zu

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