Crossfire 1: Kontakt
wusste, dass er
sich die Andacht verdarb.
Normalerweise war die Zusammenkunft zur Stillen Andacht für
Shipley der Höhepunkt der Woche. Er machte sich dann von allen
störenden Gedanken frei, die ihm sonst im Kopf herumgingen, und
wartete in gesegneter Stille auf das innere Licht. Wenn es nicht zu
ihm kam, kam es vielleicht zu einem anderen, der dann aufstand und
seine Erkenntnisse mit der Gemeinde teilte. Aus all diesen Stimmen
ergab sich im Laufe der Zeit die Wahrheit, in all ihrer Harmonie und
Schlichtheit, und wenn Shipley das Gemeindehaus verließ, dann
befand er sich im Einklang mit sich selbst. Das traf sogar dann zu,
wenn die ganze Stunde verging und niemand etwas sagte. Im
gemeinschaftlichen Schweigen lag eine geteilte Spiritualität,
die kostbarer war als Worte.
Aber diese Woche war es nicht so. Shipley blickte auf die
Quäker, die auf einfachen Formschaumbänken im neuen
Gemeindehaus saßen. Das Gebäude war ebenfalls aus
Formschaum gefertigt und bestand nur aus einem einfachen,
fensterlosen Raum ohne ablenkenden Zierrat. Wie die
ursprünglichen Quäker kannten auch die Neuen Quäker
keine religiösen Symbole, keine Liturgie, keine Priester und
keine Theologie.
Anfangs hatten sie sich im Freien versammelt. Dann aber regnete es
drei Sonntage in Folge, und daraufhin brachte jede Gemeinde die Zeit
und die Ressourcen für den Bau einer festen
Begegnungsstätte auf. Neunzehn davon standen inzwischen in ganz
Mira City verteilt.
Davon abgesehen bestand die Stadt immer noch zum
größten Teil aus aufblasbaren Zelten, zwischen denen sich
gelegentliche zweckentfremdete Teile der Ariel als
glänzende, feste Fremdkörper erhoben. Faisal hatte
berichtet, dass die Araber inzwischen ein hölzernes Herrenhaus
in der Medina errichteten. Das Material dafür lieferte das neu
gegründete, umweltschonende Holzverarbeitungsunternehmen
»Mira Waldbau«. Bisher stand von der Anlage nur das
Grundgerüst. Mira City wurde dominiert von grünen
Zeltplanen und grauem Formschaum.
Beinahe hundert Quäker saßen schweigend beisammen, die
Augen geschlossen oder den Blick auf den Boden gerichtet. Einige
fehlten. Alia Benton war gestürzt und hatte sich einen
Oberschenkelhalsbruch zugezogen. Shipley hatte sie in einen aktiven
Gipsverband gesteckt, der zugleich Mittel verabreichte, die den
Knochen schneller zusammenwachsen ließen. Paul Dubrowski hatte
gegen irgendetwas auf Greentrees eine Allergie entwickelt. Das war
sehr interessant, denn es bedeutete, dass sich das menschliche
Immunsystem an die neue Umgebung anpasste. Marlie und Harrel
Forrester wollten diese Woche einer anderen Zusammenkunft beiwohnen,
ebenso wie der junge Guy Lowell. Shipley hatte den Verdacht, dass
Letzterer hauptsächlich an einer jungen Frau dort interessiert
war. Und natürlich fehlte auch Naomi.
Aber Shipley war nicht wegen seiner Tochter abgelenkt.
Cameron Farley erhob sich. Sie sagte: »Diese Woche habe ich
mit mir gerungen. Eine Kollegin im Gewächshaus, keine
Quäkerin, trug eine Halskette aus wundervollen, rosafarbenen
Steinen. Ich begehrte sie. Ich fragte meine Kollegin, ob sie mir die
Kette verkaufen würde, und sie stimmte zu. Ich kann sie mir
leisten. Aber ich weiß, dass mich diese Halskette vom Weg der
Schlichtheit abbringen wird. Ich spüre es. Ich würde nicht
die Halskette besitzen, sie würde mich besitzen. Ich habe
sie nicht gekauft – aber ich will es immer noch.«
Sie setzte sich wieder. Eine hübsche, junge Frau, aus dem
Gleichgewicht gebracht von einer Schnur mit rosa Steinen.
Nein, nicht davon, sondern von einem Kampf gegen materielle
Begierden. Wenn der Geist mit den Sorgen um weltlichen Besitz
angefüllt ist, fällt es schwer, schweigend abzuwarten und
der leisen Stimme Gottes zu lauschen.
Und ebenso, dachte Shipley, wenn einem ständig
irgendwelche genetischen Daten im Kopf herumschwirren.
George Fox, Ingrid und Todd Johnson wollten heute das Ergebnis der
Genanalyse des Haares vorstellen, das von dem Kind der Fremdwesen
stammte. Der Biologe und die beiden Genetiker hatten eine Woche lang
verbissen gearbeitet. In der Zwischenzeit hatte Jake weitere
Expeditionen zu den übrigen drei Dörfern angeführt,
und auch er wollte seine Ergebnisse vorstellen. Außerdem war
eine kleine Forschungsgruppe an diesem Morgen beim ersten Dorf
abgesetzt worden, um dort ein Lager aufzuschlagen. Man wollte
versuchen, ob nicht ein längerer Kontakt die Pelzlinge aus ihrer
Gleichgültigkeit lockte. Doch nichts von diesen Problemen
hätte Shipley
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