Crush Gier
einem beschissenen Motelzimmer abzukratzen.« Seine Stimme brach. »Er hat mich noch gefragt, ob sich das Police Department keine bessere Unterkunft leisten könnte. Ich habe ihm erklärt, er soll nicht rumjammern, er hätte schon schlechter übernachtet, und das Zimmer sei deutlich besser als das Loch, in dem er wohnt. Jesus, Grace, ich ertrage das nicht. Ehrlich, ich ertrage das nicht.«
»Wick ist nicht tot.«
»Woher willst du das wissen?«
Sie lächelte ihn zärtlich an. »Weil er viel zu stur ist, um zu sterben.«
Er hätte ihr gern geglaubt, doch Grace war eine professionelle Trösterin. SchlieÃlich tröstete sie tagaus, tagein von morgens bis abends andere Menschen. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt
damit, dass sie in einer schweren Situation aufmunternde Dinge zu sagen wusste. Doch selbst wenn sie im Moment nur Allgemeinplätze zu bieten hatte, war er doch froh, sie an seiner Seite zu haben und aus ihrem Mund Worte zu hören, die er nur zu gern glauben würde.
Es dauerte weitere zwölf Minuten, bis Dr. Newton aus der Doppeltür trat. Ihr Anblick war nicht gerade aufmunternd. Sie sah aus wie ein verwundeter Soldat nach einer verlorenen Schlacht.
Sie hatte einen Laborkittel übergezogen, der die blutfleckige Tunika ihres Operationsanzugs jedoch nicht verhüllen konnte. SchweiÃnasse Haarsträhnen kräuselten sich unter ihrer Schutzkappe hervor. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Am liebsten hätte ihr Oren aus Mitleid eine warme Mahlzeit spendiert.
Sie spannte sie nicht lange auf die Folter. Noch im Gehen erklärte sie: »Er hat die Operation überlebt.«
Oren stieà einen erleichterten Seufzer aus und drückte Grace an sich. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und hauchte ein kurzes Dankesgebet. So blieben sie mehrere Sekunden lang stehen. Dann lieà Oren Grace wieder los und wischte sich die Augen trocken.
Grace streckte der Ãrztin die Hand hin. »Ich bin Grace Wesley.«
»Rennie Newton.«
»Vielen Dank, Dr. Newton.«
Nachdem sich die beiden Frauen die Hand gegeben hatten, überreichte Dr. Newton Oren eine Klarsichttüte mit einem blutigen Phillips-Schraubenzieher. »AuÃer mir hat ihn niemand berührt.«
Dann vergrub sie die Hände in den Kitteltaschen und wurde offiziell. »Der Einstich war sehr tief. Dabei wurde der feste Teil seiner rechten Niere penetriert. Trotzdem konnten wir das Organ retten, sodass es ohne Funktionsbeeinträchtigung ausheilen müsste.
AuÃerdem wurde Muskelmasse beschädigt. Ich habe darum unseren Orthopäden hinzugezogen. Er hat den Muskel sehr schön
vernäht. Wenn Sie möchten, können Sie später noch mit ihm sprechen.«
»Er hat viel Blut verloren«, bemerkte Oren.
Sie nickte. »Nachdem wir die Hauptquelle der Blutung gefunden hatten â eine durchtrennte Arterie â, konnten wir den Blutfluss in die Niere zurücklenken. Zum Glück haben wir ihn so schnell operieren können. Andernfalls hätten wir das Organ nicht retten können, oder er wäre am Blutverlust gestorben.«
Er hätte nicht überlebt, wenn sie auf Dr. Sugarman gewartet hätten. Das wollte sie ihm damit sagen. Oren fragte, wann sie zu ihm durften.
»Wenn Sie möchten gleich jetzt. Kommen Sie mit.«
Sie drehte sich um, und sie folgten ihr. Grace musste die unterschwellige Feindseligkeit zwischen ihrem Mann und der Ãrztin gespürt haben. Sie sah Oren verwundert an und fragte lautlos: »Was ist los?«
Er schüttelte den Kopf. Ãber die komplexen Verwicklungen würde er sie später aufklären. Dann würde sie begreifen, warum er und die Ãrztin einander zwar höflich, aber distanziert begegneten.
Sie wurden durch zwei automatische Schiebetüren auf die chirurgische Intensivstation geführt. »Er ist noch in Narkose, und Sie sollten darauf gefasst sein, dass er nicht besonders gut aussieht. Irgendwas ist mit seinem Gesicht passiert.«
»Er ist draufgefallen.« Dr. Newton blieb stehen und sah Oren an, mit groÃen Augen, die mehr Gefühl verrieten, als sie bislang preisgegeben hatte. »Er ist von hinten angegriffen worden«, führte er aus. »Offenbar ist Wick zusammengebrochen, als ihn der Angreifer losgelassen hat, und dabei mit dem Gesicht auf dem Boden aufgeschlagen. So haben ihn die Sanitäter gefunden.« Dass die Platzwunde an Wicks Kinn auf sein Konto ging,
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