Cruzifixus
irregeleiteten Irren zum Märtyrer zu stilisieren.“
Simon heuchelte Verständnis:
„Ich verstehe, es soll keinesfalls der Eindruck entstehen, als ob die Kirche etwas zu verheimlichen hat und einen unbequemen Dissidenten das Maul stopfen will.“
Seine Schweinebacken leuchteten:
„Ich sitze da in einer Zwickmühle. Einerseits soll so wenig wie möglich nach außen dringen, andrerseits heißt es ein Höchstmaß an Offenheit und Transparenz zu wahren. Ich habe schließlich Sorge zu tragen, dass sich die Kirche nicht kompromittiert. Mit einem aufsässigen Querdenker, einem kritischen Geist - damit kann ich prima leben! Aber bei einem Judas, der gegen die Kirche agitiert und nebenbei sein Rebellen-Image aufpoliert, muss ich die Reißleine ziehen. Also: do ut des! Ich biete dir exklusive Informationen und du behandelst die Geschichte mit Umsicht und Feingefühl.“
Simon schob sein Unterkinn vor:
„Und was erwartest du von mir? Dass ich den Alten – wenn du mir den Ausdruck erlaubst – aufs Kreuz lege?“
Sein Froschmaul verzog sich zu einem schiefen Lächeln:
„Lass uns erst die pekuniären Details klären. Was hältst du von einem Beraterhonorar. Sagen wir 3000 netto im Monat?“
Simon runzelte die Stirn. 3000 Euro? Das war weit mehr, als ihn dieser Halsabschneider von Verleger zahlte. Das Angebot klang zu verlockend, um keinen Haken zu haben:
„Und was muss ich dafür tun? Dem Alten Daumenschrauben anlegen, damit er seinen ketzerischen Irrlehren abschwört?“
Dominikus lächelte wie eine Stewardess mit Maulsperre:
„Wo denkst du hin, wir leben in zivilisierten Zeiten. Ich engagiere dich lediglich als Vermittler. Du stehst doch mit dem Neffen des Alten auf vertrauten Fuß, oder?“
Daher also wehte der Wind. Er sollte Vinzenz als Lockvogel benutzen, um das Misstrauen des Alten einzuschläfern und sich als neutraler Vermittler Bewegung ins Gespräch bringen:
„Wieso soll ich den Parlamentär spielen? Warum sprichst du nicht einfach mit dem alten Querulanten?“
Dirrigl musterte ihn eindringlich:
„Für diesen Job brauche ich jemanden, auf dem ich mich absolut verlassen kann. Jemand der zu seinem Wort steht und sich an die Abmachungen hält. Man muss kein Loyola sein, um loyal zu sein.“
In seinem Kopf herrschte heller Aufruhr. Was wollte Dirrigl von ihm? Was führte er im Schilde? Was sollte er tun? Das amoralische Angebot entrüstet zurückweisen? Den Pakt mit dem „Teufel“ besiegeln? Was konnte er bei diesem Kuhhandel verlieren? Seine Glaubwürdigkeit, seine moralische Integrität? Im investigativen Journalismus musste man im Dienste der Wahrheit lügen und betrügen. Um Spendenskandale auf den Grund zu gehen, Mauscheleien und Schiebereien aufzudecken, den Parteienfilz zu durch lausen, musste man Zweckbündnisse schließen und die verfeindeten Fraktionen gegeneinander ausspielen. Um herauszufinden, ob der Eremit in dem Mord verstrickt war, durfte er nicht so zimperlich wie eine vertrocknete Jungfer sein. Es bestand schließlich auch die Möglichkeit, dass sich der Eremit versteckt hielt, weil er etwas über den Marter-Mord wusste? Hatte er es mit der Angst zu tun bekommen? Oder hielt man ihn gegen seinen Willen irgendwo gefangen. War er verschleppt, war er entführt worden? Und wen von wem? Von den Auftraggebern des Mörders? Von den Komplizen und Hintermännern Paintingers? Wenn er mit seinen Hypothesen richtig lag, dann schwebte Ägidius Hallhofer in akuter Lebensgefahr.
Die Wallfahrtskirche lag inmitten einer weiten, von milden, nachmittäglichen Licht umflossenen Lichtung. Das in frohen, frischen Farben leuchtende, etwas protzig und pomphaft wirkende Gotteshaus ließ das von Efeu umrankte, von den jeweiligen Einsiedl bewohnte Benefiziatenhaus noch baufälliger und älter aussehen als es war. Um eine freie Rasenfläche scharten sich Schober, Scheunen und Schupfen. Auf dem Grün des Angers verloren sich ein paar orangerot lackierte Bierbänke. Die weißblauen Plakate neben dem überdachten Ausschank verkündeten vollmundig: „5. Hochhartinger Maimaß Party“. Der Ansturm auf die etwas
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