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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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die stärker ist als der Tod. Daraus erwächst uns Sterblichen die Hoffnung auf Wiedergeburt  - in Gott vereint!“
                Dominikus sprach mit Engelszungen, redete wie ein mit allen Weihwassern gewaschener Bauernfänger:
                „Jesus selbst ist diese Liebe, dieser Glaube, diese Hoffnung! Er ist das Licht in der Finsternis!“
                Simon strich über die an Kinn und Wange sprießenden Stoppeln seines Seeräuberbarts. Was sollte er auf diese salbadernde Eloge erwidern? Das Jesus ein Taschenspieler, Defraudant und Hochstapler, dass die wahre „Lichtgestalt“ Luzifer war? Der ganze liturgische Ritus mit Messkelch und Monstranz, der ganze kultische Firlefanz mit Weihrauch und Myrrhe war in seinen Augen nichts weiter als ein inhaltsloses, Sinn entleertes Zeremoniell. Simon hütete sich indes durch ein unbedachtes Wort den Unmut des „Ketzerjägers“ zu erregen. Er musste sich im Gegenteil seines Wohlwollens versichern. Der Dechant war der Repräsentant eines weltweit operierenden Konzerns, der über Mittel und Wege verfügte, an Quellen heranzukommen, die ihm verschlossen blieben. Die Kirche verfügte zweifelsohne über ein engmaschiges Netzwerk von Spitzeln, Zuträgern und Denunzianten. Die Dunkelmänner des Glaubens hatten überall ihre knöchrigen, knotigen Finger im Spiel. Wer sich diese Macht zum Feind machte, der beging einen schwerwiegenden Fehler.
     
    Ohne Berg kein Prophet, ohne Berg keine Predigt. Moses hatte den Dekalog auf dem Berg Sinai empfangen, Jesus und seine Jünger das Himmelslicht am Berge Tabor geschaut. Dirrigls Berg schien der Sonnenberg zu sein. Seine Stimme schwoll in der Manier eines Jesaja, Henoch oder Daniel:
                „Demut, Selbstentsagung, Opfermut! Die christlichen Kardinaltugenden erscheinen vielen heute obsolet und anachronistisch. Es mangelt den Menschen an Mitgefühl und Barmherzigkeit. Schlimmer noch sind diejenigen, die unter der Maske von Anstand und Moral ihre selbstsüchtigen Ziele verfolgen. Am schlimmsten aber sind jene, die den Namen des Herrn im Munde führen, um Angst und Anarchie zu schüren. Diese sind in Wahrheit Wegbereiter Satans.“
                Simon druckste herum:
                „Denkst du, dass der Alte vom Teufel besessen ist?“
                In seinen blässlich, blauen Augen schimmerte es hinterhältig:
                „Vom Teufel? Aber nicht doch! Bruder Ägidius ist ein armer Irrer oder ein verkannter Heiliger – je nachdem. Der Satan aber ist schlau wie die Schlange!“
                Mit einem ächzenden Laut stemmte sich Dirrigl von der Bierbank hoch und verschwand in Richtung der Toilettenwägen. Warum erging sich sein Spiritus Rector in kryptischen, nebulösen Andeutungen statt Klartext zu reden? Warum redete er in Rätseln? Sollte er etwa einem Geist nachjagen? Simon stierte in den Maßkrug, sah darin sein verzerrtes Spiegelbild träge hin- und herschwappen. Seine Gedanken kreisten um einen toten Punkt. Jetzt da Konzentration und Anspannung von ihm abfielen, spürte er einen gewaltigen, übermächtigen Druck auf der Blase. Einmal auf den Beinen hatte er das Gefühl auf Stelzen zu stehen, sich auf schwankenden Boden zu bewegen, als er Kurs auf die Klokabine nahm. Als er sich dem Chemo-Klo näherte, schlug ihm ein penetranter Gestank nach Urin und Unflat entgegen. Wie um sich vor einem Giftgasangriff zu schützen, hielt er die Hände vor Nase und Mund. Angesichts des „betörenden Dungdufts“ und der Drecklache die sich sichelförmig um die Klokabine legte, beschloss er, ein „stilleres“ Örtchen aufzusuchen. Auf wackligen Beinen wankte er zum Waldrand, um dort sein Geschäft zu verrichten. Zu seinem Missfallen musste er allerdings feststellen, dass schon Andere vor ihm dort ungeniert ihre Notdurft verrichtet hatten. Den Wiesenrain verunzierten kleinere und größere Kot- und Kotzehäufchen, der Waldboden war im weiten Umkreis mit Scheißpapierfetzen tapeziert. Entrüstet entfuhr es ihm:
                „Diese Dreckbatzer! Überall müssen sie hinscheißen!“
                Leise vor sich hin schimpfend drang er tiefer in den Wald ein. Dämmrig, diffuses Licht sickerte durch Kronen und Äste auf das den Waldboden bedeckende Vegetationspolster. In einer Moosmulde fand er endlich den idealen Platz um Gedärme und Blase zu entleeren. Simon wollte eben die Hose runter lassen, da hörte er laut und deutlich

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