Cruzifixus
halsstarriger Querkopf, der Zwietracht unter den Christen säte und die Autorität der Amtskirche untergrub. Vor kurzem hatten der Stadtpfarrer von Erchtenhall Blasius Preimesser sowie der Abt von Hohenhaslach Placidus Birnbacher in einem gemeinsam verfassten Hirtenbrief die „von kabbalistischem Gedankengut inspirierten, vom gnostischen Virus infizierten Sektierer“ als „im klaren Widerspruch zu den Dogmen der katholischen Kirche stehend“ gebrandmarkt. Die Antwort des „Alten“ hatte nicht lange auf sich warten lassen. In einem geharnischten Sendschreiben hatte er seine Kritiker in die Schranken gewiesen, den Abt einen „Domestiken Roms“ gescholten und den Ortspfarrer als „dessen willfährigen Helfershelfer“ geschmäht. In seiner Retourkutsche hatte der Eremit das „Breve“ als „ein Konvolut böswilliger Verleumdungen, als mit den Stigma Satans befleckte Polemik“ heruntergeputzt. Der theologische Disput unter Kollegen drohte sich zu verschärfen und sich zur „Staatsaffäre“ auszuwachsen. Das der streitbare, beharrliche „Don Quijote“ kein weiteres Öl ins Feuer gießen konnte, kam dem Abt und seinem Kompagnon durchaus gelegen. Tiefe Falten furchten Simons hohe Heroenstirn: Hatten die Häscher der „Inquisition“ den Alten verschleppt? Darbte er bei Wasser und Brot in einer lichtlosen Oubliette? Wartete ein Schauprozess vor einem apostolischen Tribunal auf ihn? Missmutig kratzte er sich hinterm Ohr. Ehe er den „Schwarzkitteln“ auf den Pelz rückte, musste er Indizien zusammentragen und feuerfeste Fakten auf den Tisch legen. Er brauchte einen informellen Informanten, der ihm unter der Hand Insider-Informationen zukommen ließ und ihm Einblick in die Interna der Jesus-Connection gewährte:
„Du bist doch vom Fach. Die Ergüsse des Alten über ein von den Erzengeln verkündetes Evangelium haben doch für erhebliche Irritationen gesorgt, wenn ich nicht irre?“
Dirrigl schien das Thema unangenehm zu berühren. Jedenfalls setzte er eine indignierte Miene auf:
„Jesus lehrt uns: Was sieht du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem? Wer vermeint den Zauberstab der Circe in Händen zu halten, um einen Haufen verstockter Sünder in Heilige zu verwandeln und sich zu der Behauptung versteigt, dass ihm die Engel in effigie erscheinen, bei dem ist entweder eine Schraube locker oder er leidet unter religiösen Wahnvorstellungen. Was glaubt dieser Hanswurst eigentlich wo wir sind, in Lourdes oder was? Wenn dann noch ein paar arbeitsscheue Nichtsnutze in weißen Apostelgewändern herumlaufen und das Ende der Welt an die Wand malen, hört sich der Spaß auf. Wie nennst du ein solches Verhalten? Absonderlich, befremdlich, bizarr? Das ist doch nicht mehr normal!“
Ewald haute den Humpen auf den Tisch und putzte sich den Mund ab:
„Was heißt hier nicht mehr normal? Der Ägidius war ein Lebtag lang für andere da. Bei Tag und Nacht, bei jedem Sauwetter hat er sich um die Kranken gekümmert Wenn jemand im Sterben gelegen ist, hat er ihm Trost gespendet und - wenn er wollen hat - die Absolution erteilt. Über den lass ich nichts kommen!“
Sogleich sekundierte Sebald:
„Genau! Der Egid ist eine ehrliche Haut und kein krummer Hund. Einer, der grad heraus sagt was er denkt!“
Dirrigl versetzte polemisch:
„Denkst du! Ein Schleicher und Mucker ist er. Ein verbohrter Provinzprophet, der nur seine eigene verquere Meinung gelten lässt, große Reden schwingt und sich in seiner Hybris rühmt, dass er einen guten Draht zum Herrgott hat.“
Sebald geriet nur in Ausnahmefällen in Rage, jetzt aber platzte ihm der Kragen:
„Sag das noch mal! Wenn hier einer ein Schlawiner und Windmacher ist, dann du!“
Ewalds vom Bier umflorter Blick wurde hart wie Kruppstahl:
„Der Ägid fastet bei Wasser und Brot und hilft zu den kleinen Leuten! Und das andere Pfaffengesindel stopft sich den Wanst voll und redet den Großkopferten nach dem Maul!“
Die Inkofler-Brüder meckerten wie zwei von Beelzebub besessene Ziegenböcke. In Dominikus Augen funkelte es zornig. Sein teigig, bleiches Gesicht lief krebsrot an, die Fleischlappen seines Doppelkinns
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