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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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ihm.“
                Sichtlich entnervt stöhnte Simon:
                „Und wer will deinen Onkel ans Kreuz nageln?“
                Sein Lächeln offenbarte einen arroganten Zug seines Charakters:
                „Simon, du musst lernen im globalen Rahmen zu denken. Die Welt wie das Ich sind gespalten. Es besteht ein ewiger Gegensatz zwischen Gut und Böse, Geben und Nehmen, Haben oder Sein. Der Mensch ist ein janusköpfiges Wesen: Pragmatiker und Mystiker, Mörder und Märtyrer, Mönch und Manager. Dem Ägid ging es darum, den Dualismus durch einen dialektischen Prozess zu überwinden, die Spirale von Hass und Gewalt zu beenden. Du kennst sicher das machiavellistische Prinzip: Divide et impera! Teile und herrsche! Er stellte den Grundsatz dagegen: Jedem wird das gegeben, was er braucht!“
                Vinzenz senkte seine Stimme, so als ob er unterm Kanapee und hinterm Lampenschirm Wanzen vermutete:
                „Gott lässt sich nicht beweisen, nur postulieren. Wenn es die Hölle auf Erden gibt – und die gibt es - dann existiert auch ihr Gegenstück: der Himmel!“
                Von seinen eigenen, prophetischen Worten ergriffen, verstummte er. Was sollte man auf einen solchen Sermon erwidern? Mit verdrossener Miene schaufelte er gewaltige Mengen der weiß glitzernden Zuckerkristalle in den blässlich gelben Kräutertee. Wie zur Bekräftigung des vorher Gesagten murmelte Vinzenz:
                „Wo Gott ist, ist der Teufel nicht weit.“
                Ausnahmsweise musste ihm Simon Recht geben. Jede Medaille, jedes Ding hatte zwei Seiten.

 
Die Büchse der Pandora
    Omnis munda creatura, quasi liber et scriptura! Das Wesen der Welt war gleichsam ein offenes Buch der Schöpfung.
     
    Simon suchte vergeblich nach Antworten, nach einem Fingerzeig des Schöpfers. Es war wie verhext, es war als ob ein böser Fluch auf seinen Angelegenheiten lag. Nachts wälzte er sich stundenlang ruhelos auf der Matratze hin und her. Tags war er ein Schatten seiner selbst, war unkonzentriert, unkreativ und unausstehlich. Ein Zombie, der mechanisch seine Arbeit verrichtete. Abends saß er stundenlang vorm Computer und quälte sich durch die Websites von Spiritisten, Okkultisten und Angelologen, von Exzentrikern, Exhibitionisten und Exorzisten. Simon kannte sich selbst nicht mehr. Er war dabei in einen Mahlstrom zu geraten, der ihn in die Tiefen dämonischer Kräfte, satanischer Mächte und okkulter Praktiken sog. Dabei stand zu 99 Prozent ein „Primitivmotiv“ hinter den registrierten Fällen von Mord und Totschlag. „Niedere Beweggründe“ wie Neid, Missgunst oder Raffsucht ließen den Nachbarn von nebenan zum eiskalten Mörder mutieren. Selbst die Taten von Psychopathen, Triebtätern und Irrsinnigen ließen sich nach Bekunden von Forensikern nach bestimmten Motivmatrices klassifizieren, die wiederum in psychischen Anomalien und soziopathischen Verhaltensmustern wurzelten. Manche Wissenschaftler gingen sogar davon aus, dass es so etwas wie ein „Gewalt-Gen“ gab. Ins Visier der Neurobiologen war vor allem die Genvariante MAO-A geraten. Studien zu Folge löste dieses Gen signifikant häufig impulsives und aggressives Verhalten aus. Vereinfacht gesagt regelte das Gen die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im Körper. Die weniger aktive Variante führte dazu, dass weniger Monoaminooxidasen ausgeschüttet wurden und der Botenstoff Serotonin somit länger im Blut verblieb. Testreihen belegten, dass Männer auf hohe Konzentrationen von Serotonin „allergisch“ reagierten, rabiat und handgreiflich wurden. Gab es eine Prädisposition zu Gewalt und Brutalität, vererbte sich die mörderische DNA des Damokles? Und was hatte das mit den vorliegenden „Fällen“ zu tun? Simon war weder Seelenklempner noch Strafverteidiger. Sein Job bestand darin, Liebe und Leid richtig zu dosieren, Sex und Gewalt mundgerecht zu portionieren. Einer spontanen Gefühlsregung nachgebend, pfefferte er sein Notizbuch ins Eck:
                „Scheiße! Dieser Dreck kotzt mich an!“
                Simon schob die lachsfarbenen, mit Rüschchen bordierten Gardinen energisch zur Seite: der Himmel über Oböd war nach Graustufen schattiert: Hellgrau, Dunkelgrau, Grau in Grau. Ein dunkler Wolkentreck walzte von Westen heran. Ein Wetter wie gemacht, um in eine trübsinnige, depressive Stimmung zu verfallen. Simons Blick verlor sich in den

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