Cruzifixus
diese perfide Polemik nicht in krassem Widerspruch zu der Behauptung, dass Rom das Arier-Imperium toleriert, ja unterstützt hatte? Er musste höllisch aufpassen, dass er nicht im Kreis herum in die Irre lief. Er durfte sich nicht allein auf seine journalistische Intuition verlassen. Man musste mit System an die Sache herangehen.
Wer das Schreiben zur Profession machte, musste Masochist sein. Seine Nackenmuskulatur war total verhärtet, seine Halswirbel knirschten wie ein rostiges Scharnier:
„Zieh ein zu allen Toren, o du starker, heilger Geist. Der aus dem Licht geboren, den Pfad ins Licht uns weißt. Und gründe in unsrer Mitte, wahrhaft und edel zugleich, in Freiheit, Reinheit und Sitte, dein tausendjähriges Reich!“
Bei seiner Grabungsaktion war Simon zwar nicht auf das gesuchte Dossier gestoßen, dafür hatte er die „Monita“ des „Bruders vom Berg“ exhumiert. Je länger und intensiver er sich in die „väterlichen Ermahnungen“ des Eremiten von Hochharting vertiefte, desto verworrener und irrationaler erschien ihm die Geisteswelt die sich darin spiegelte. In seiner „Buß- und Bekenntnisschrift“, die sich bei näherem Hinsehen als propagandistisches, mit einem Geleitwort des Regens des erzreaktionären Pius-Priorats versehenes Pamphlet entpuppte, berief sich der Einsiedler auf Erscheinungen und Traumgesichte, faselte immerfort von den Evokationen des Bösen und den Emanationen des Herrn. Bis zum Überdruss repetierte er die Worte der jüdischen Propheten und gebärdete sich wie ein dämonischer Demagoge:
„Denn eure Hände sind von Blut befleckt, mit Kot eure Finger. Eure Lippen reden Lügen und eure Zunge spricht Frevel. Wer von der fauligen, verdorbenen Frucht eurer Sündhaftigkeit kostet, der geht elendiglich vor die Hunde. Ihr seid wie die wilden Wölfe, wie die Löwen und Leoparden. Ihr seid blutrünstige Raubtiere, ihr seid Monster in Menschengestalt.“
Simon streckte und reckte sich. Kreuzlahm hinkte er zum Kachelofen, stieß mit dem Schürhaken die gusseiserne Luke auf und legte ein paar Holzscheite nach. Hellrote Flämmchen züngelten um die dürren Späne, fraßen sich in die borkige Rinde, bis der Scheithaufen fauchend Feuer fing. Irrte der Evangelist Johannes? War am Anfang nicht das Wort sondern das Feuer? War Prometheus der eigentliche Erlöser gewesen? Die lodernden Flammen vertrieben die Finsternis, brachten Licht ins Dunkel. Das Lagerfeuer war der Ort, an dem Barden und Skalden das hohe Lied der Götter sangen. Geschichten, die den Kampf zwischen den himmlischen und dunklen Mächten in grellen Farben schilderten, von Auferstehung und Wiedergeburt erzählten. Feuer war ein „Idolum“, ein Sinnbild, dass vieles bedeuten, dass Widersprüchliches, Adversatives symbolisieren konnte: den heiligen Geist und Luzifer. Die inbrünstige Hingabe und die lodernde Flamme des Verlangens, die Erkenntnis des Herzens und die Macht des Teufels. Die Feuer des Purgatoriums brannten die schwärenden Wunden der Sünden aus. Um die Seele dem Teufel zu entreißen musste der Leib brennen. Nach „altchristlichem“ Verständnis waren die Flammen der Autodafés somit Fanale des Glaubens. Der Teufel selbst konnte nicht doppelzüngiger argumentieren! In das Prasseln des Kaminfeuers mengte sich die gebieterische, höhnische Stimme eines Inquisitors:
„Ob seiner sündhaften Verbrechen und seiner vielen schändlichen Irrtümer wegen, soll er als unverbesserlicher Häretiker und hartnäckiger Häresiarch dem weltlichen Arm der Gerichtsbarkeit überantwortet werden, auf dass er durch angezündete Feuersflammen gebrannt werde, bis dass er seinen verderbten Geist aufgebe und sich seine verruchte Seele vom Leibe trenne!“
Simon wich erschrocken zurück, verriegelte schnell die Feuerluke. Aus welch finsteren Ecken des Unterbewussten kam dieser Alp gekrochen? Er humpelte zum Schreibtisch zurück, blätterte mit steinerner Miene in den „Monita“ des „armen Fraters“. Das in einer obskuren Schriftenreihe namens „Rosa Mystica“ erschienene Büchlein tarnte sich als regionsphilosophisches Traktat, erwies sich aber bei genauerem Hinsehen als erzkonservatives, mit Kapitalismuskritik aufgepepptes Machwerk:
„Selig sind die Armen im Geiste! Die auf Erden arm sind, werden im Himmel reich sein! Hütet euch vor der gottlosen Brut der
Weitere Kostenlose Bücher