Cruzifixus
die Suche nach der berühmten Büroklammer im Heuhaufen. Irgendwo musste das Scheißteil doch sein! Simon hatte die in dem Dossier gebündelten Berichte nur hastig überflogen und als nicht relevant für seine Berghof-Story eingestuft: Mitschriften von Zeugenaussagen, Kopien von Verhörprotokollen, die im Zuge diverser Entnazifizierungsverfahren von Agenten des britischen und amerikanischen Nachrichten- und Geheimdiensts angefertigt worden waren. Die dort gemachten Aussagen belegten, dass ein Großteil des Klerus – vom Dorfkaplan bis zum Kardinal - mit dem Hitler-Regime sympathisiert, die Dienststellen der Diözesen mit den Behörden des Dritten Reichs kollaboriert, hohe geistliche Würdenträger enge Kontakte zu Partei-Bonzen unterhalten hatten. Grund dafür waren rein pragmatische Erwägungen. Die Kirche hatte mit den Nazis paktiert, um die „rote Gefahr“ abzuwehren. In den Armeen unterm Hakenkreuz sah sie einen natürlichen Verbündeten im Kampf gegen die gottlosen Bolschewiken. Rechtsaußen wie Rudolf Rattenhuber, der berüchtigte „braune Bischof“, hatten offen dafür plädiert, die arischstämmigen Armanen und Femanen unter dem Dach einer unabhängigen germanischen Volkskirche zu einen. Die Losung jener „Volksbewegung“ hatte gelautet:
„Los von Juda, los von Rom!“
Simon war kurz davor, den heiligen Antonius anzurufen. Wenn nichts mehr half, half der Patron aller „Suchenden“. Da entdeckte er einen verdächtig aussehenden Gegenstand: eine Aktenmappe aus ockergelben Manilakarton. Mit zittrigen Fingern schlug er den Deckel auf. Dabei ging er so behutsam vor, als ob er sich anschickte die Büchse der Pandora zu öffnen. Obenauf lag ein von zwei schmucken Zierleisten gerahmtes Deckblatt – sein Curriculum Vitae: STERNSTEINER, Simon Benedikt, geboren am 5.9.1963 in Oberbergham, Hauptschule Himmelham, Gymnasium Bad Erchtenhall, Studium der Diplom-Journalistik in München und Salzburg. Selbst vergessen murmelte er:
„Ja, ja die alten Zeiten. Lang ist’s her!“
Ohne sich weiters in Sentimentalitäten zu ergehen, legte er das Blättchen bei Seite. Dabei fiel ihm siedend heiß ein, dass er die Lebensläufe von Paintinger, Dirrigl und Frater Ägid auf mögliche Übereinstimmungen und Konkordanzen hin vergleichen musste. Doch eins nach dem anderen. Das Dossier hatte Priorität. Hatte er es in einem Anfall von Ordnungswut entsorgt? In wachsender Verzweiflung wühlte er sich durch Stöße von Papier. Doch statt auf die Memoiren und Memoranden des von Rom abgefallenen Germanenbischofs stieß er auf einige alte Poesieheftchen:
„In der auf schwankenden Pfeilern errichteten Welt des Dionysos fühlt sich der umherwandernde Prophet zu Hause. Der Seele Unrast fasst er in Jamben und Hekatomben. Die Verse Ahasvers irrlichtern in dionysischer Glut.“
Das Staunen stand ihm ins Gesicht geschrieben:
„Heiliger Birnbaum! Wann habe ich denn das verbrochen?“
Mit der wütenden Verbissenheit eines Dachshunds kämpfte er sich durch Gänge und Höhlen des Papierbergs. Argwöhnisch beschnüffelte er ergraute Schmierblöcke und zerfledderte Notizheftchen. Oft konnte er seine eigene Sauklaue nicht entziffern:
„Der Starke von Oben ist auserkoren über die Welt zu herrschen. Er ist der unüberwindliche Heldenfürst, der unbesiegbare Gottmensch, der Sohn Allvaters. Der Endsieg ist ihm gewiss!“
Hier lag er goldrichtig. Das Zitat hatte er wohl aus einer „völkischen“ Erbauungsschrift exzerpiert, die den arischen Messias wie Sauerbier anpries. Simon blätterte um. Die schnörkelige Serifenschrift ließ ihn zweifeln, ob es sich dabei um arabische Buchstaben oder doch um sumerische Keilschriftzeichen handelte:
„Nieder mit den Römlingen, nieder mit der Despotie! Weg mit dem orientalischen Ornat der Priester! Der östliche Kultus ist dem deutschen Wesen fremd! Befreit euch aus dem Joche Judas!“ Und auch der nächste Satz ließ in punkto „Gesinnung“ keine Zweifel aufkommen:
„Wer erfrecht sich, die Bibel als deutsches Buch zu bezeichnen? Jener Jesus von Nazareth kann als Sohn einer Rassejüdin und Abkömmling des Erzjuden David wohl kein Arier sein.“
Simon kratzte sich sein stoppelbärtiges Kinn. Stand
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