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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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von schmutzig braunen Schlammlacken durchsetzten Wiesen. Unter dem Vordach des Heuschobers türmten sich unten angespitzte Holzpflöcke und riesige Rollen von Stacheldraht. Offenbar plante der Oböd-Bauer seine Fleckviecher in einem Kuh-KZ einzupferchen. Simon schaute auf die Uhr: zwanzig nach Neun. Der „Kompostel“ ließ sich nirgendwo blicken. War ihm auf einem Metal-Meeting die Jungfrau Maria erschienen? Hatte er alles stehen und liegen gelassen, um nach Santiago de „Kompostela“ zu ziehen? Hatte Irrsigl in einem lichten Moment erkannt, dass es ein Leben jenseits der Gülle gab? Simon konnte nur hoffen und beten. Mittenhinein in die schönste Melancholie schrillte das Telefon im Flur. Waren seine Gebete erhört worden? Rief der Oböder an, um seinen Frieden mit ihm zu machen, ehe er auf Pilgerschaft ging?
                „Sternsteiner! Grüß Gott!“
                Ein dumpfer Brummbass dröhnte an sein Ohr:
                „Servus Simon! Wie geht’s dir alte Fischhaut? Noch immer solo? Geht nix weiter mit den Weibern, ha?“
                Es gab nur einen, der so konsequent und impertinent mit der Tür ins Haus fiel: Gregor „Gori“ Gilgenrainer. Der „Schweinauer Gori“ war in Personalunion Chef des Regional- und Tourismusverbands Virgilswinkler Land, Pressesprecher des Landratsamts, PR-und V-Mann diverser Verbände und Vereine. Kurzum, er war ein schlitzohriger Lobbyist, ein Ellenbogentyp wie er im Drehbuch einer mit klischeehaften Stereotypen überladenen Vorabendserie stand. Er und Gilgenrainer waren kongeniale Partner, spielten sich gegenseitig die Bälle zu, ohne deswegen dem Anderen auch nur einen Millimeter über den Weg zu trauen. Simon gab sich keine Mühe ein gelangweiltes Gähnen zu unterdrücken:
                „Und selber? Steigst immer noch der neuen Gerichtsassessorin nach? Pass auf, die hat Haarbüschel auf den Zähnen.“
                Gilgenrainer war jedoch nicht zum flachsen aufgelegt:
                „Ich rede dir prinzipiell nie in deine Arbeit hinein. Aber musst partout in der Geschichte mit dem Dirrigl herumstieren? Die Polizei meint, dass es ein Unfall war. Und was spricht dagegen?“
                Überrascht zog Simon die Augenbrauen hoch. Der Gori musste mächtig Druck von oben bekommen, dass er sich so ins Zeug legte:
                „Alles! Im Vertrauen: das war kein Unfall, das war Mord!“
                Simon hörte Gori geräuschvoll schnaufen. Er schien angestrengt zu überlegen, wie weit er mit seinen „Enthüllungen“ gehen sollte:
                „Vertrauen gegen Vertrauen. Aber das bleibt unter uns, abgemacht? Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Kardinaldekan Solano, die rechte Hand vom Papst, der Abtei Hohenhaslach einen inoffiziellen Besuch abstatten will. Inkognito, weil es geht um eine Seligsprechung oder so. Das ist natürlich Top Secret! Wenn du brav bist, schaut der Nikolaus ob du eine Audienz bei seiner Eminenz bekommst. Bene?“
                „Was sagst da, der Solano kommt hierher? Sag das…“
                Doch Gilgenrainer hatte schon aufgehängt. Was wollte die Nummer Zwei des Vatikans hier? Simon hätte sein Seelenheil darauf verwettet, das es ihm nicht um einen Seligen mehr oder weniger ankam.
     
    Wo war das vermaledeite Dossier? Simon wusste nicht, wo ihm der Kopf stand, geschweige denn wo das Scheißpapier abgeblieben war. In Simons Arbeitszimmer schaute es aus, als ob dort eben eine Sprengladung hochgegangen war. Dabei war er Sternzeichen Jungfrau, noch dazu mit Aszendent Waage. Eine Konstellation, mit der man gemeinhin positive Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Ordentlichkeit oder Ordnungssinn assoziierte. Er war wohl die unrühmliche Ausnahme von der astrologischen Regel. Die Erfolgsaussichten seiner Suchaktion schienen jedenfalls gleich Null. Simon stand da wie Rudi Ratlos: eine auf zwei Holzböcken aufgebockte Pressspanplatte bog sich unter der Last der Manuskripte. In mannshohen Aktenschränken setzten Stöße von losen, notdürftig zusammengehefteten Blättern Staub an. In den ohne jegliches ästhetisches Feingefühl an die Wand gedübelten Ikea-Regalen stapelten sich deformierte Disketten und demolierte Daten-Disks. An chronischer Daten-Demenz leidende Leitz-Ordner harrten dem Tag an dem das spröde, brüchig gewordene Papier in ihnen zerbröselte. Mit verbissenem Gesichtsausdruck machte sich Simon auf

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