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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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des Altargemäldes spiegelte sich die elementare Wucht, die emotionale Intensität des dramatischen Geschehens auf Golgatha: aus feurigem Gewölk stürzte ein Puttenschwarm auf den Kreuzeshügel hinab. Um das Kreuz flatterten flügellahme Engelchen, angesichts der Leiden des Herrn bittere Zähren vergießend. Wie die Ankläger vorm jüngsten Gericht hielten die aus ihrem Wolkennest gefallenen Himmelsküken die „Arma Christi“, die Nägel, die Lanze, die Dornenkrone in die Höhe. Aus der Inschrift der von Stuckgirlanden umschlungenen Kartusche sprach jedoch die unerschütterliche Zuversicht in die Auferstehung:
                „Per crucem ad lucem!“ Das Kreuz gebiert das Licht! Und im Glanz der göttlichen Gnadensonne herrschten Eitel, Freude, Sonnenschein: Putten hauten auf die Pauke, ließen die Saiten der Äolsharfen erklingen und stießen in die Jagdhörner von Jericho. Unter den Klängen der messianischen Marseillaise stieg Simon über ein paar Stufen in die dem heiligen Vigil geweihte Kapelle hinab. Hier unten herrschte eine ganz andere, chthonische, urweltliche Atmosphäre. Der höhlenartige Raum wurde nur von ein paar unstet flackernden Kerzen erhellt, die die Wandgemälde in den Apsiden im geisterhaften Licht kurz aufscheinen und wieder verschwinden ließ. Aus dem Dunkel schälte sich ein Danse Macabre, ein Reigen der Toten, in dessen Mitte ein lebensgroßer Sensenmann mit der Fidel zum Tanz aufspielte. Simon konnte seine Augen nicht von dem grausigen Schauspiel des Skelett-Balletts abwenden. Der Knochenmann hatte sich ein zerfetztes, zerrissenes Leichentuch um den Leib gewickelt und spielte wie ein in sich versunkener Violinvirtuose. Während der Bogen wie von Zauberhand über die Saiten strich, griffen seine knochigen Finger ins Leere. Den Totenkopf umflatterte ein Banner, auf dem in eigentümlich, ungelenker Majuskelschrift geschrieben stand: "Fleuch wohin du wilt, der Tod stätz auf dich zilt." Die Warnung war unmissverständlich: Du kannst dem Tod nicht entfliehen! Er findet dich, er ereilt dich! Neben dem Totentanz war eine buntscheckige Grabplatte aus rotweißem Marmor in die Wand eingelassen. Simon musste sich bücken, um die lateinische Inschrift halbwegs entziffern zu können:
                "Mors est quies viatoris, fines est omnis laboris!“
                War der Tod wirklich das Ziel der Wanderschaft, das Ende aller menschlichen Mühen und Plagen? Konnte man dem Tod, „jenen wahren Menschenfreund“ wie es in den christlichen Erbauungsschriften der Barockzeit hieß, mit „heiterer Gelassenheit“ entgegen gehen? Simon traute dem ewigen Frieden nicht. Der Tod erschien ihm wie eine dunkle Winternacht, wie ein Albtraum, aus dem es kein Frühlings Erwachen gab. Hatte sich nicht auch Jesus am Kreuz aufgebäumt und seine Verzweiflung herausgeschrieen:
                „Eloi, Eloi, Lama Sabachthani!“
                Langsam löste sich Simon aus seiner Stasis. Er hatte das Gefühl aus tiefer Hypnose zu erwachen - in einem Kerker, einem finsteren Verlies auf Château d’ If aus dem es kein Entkommen gab.
     
    Ex Voto! Ein Kranz von Votivbildern umhegte die Marienkapelle. Über den rustikalen, ungekünstelten Darstellungen lag der Zauber einer einfach gestrickten Frömmigkeit, einer tief empfundenen Dankbarkeit. Auf einer der Holztafeln hatte ein Mistgabel-Michelangelo den dramatischen Moment der Errettung des Wirtstöchterchens von Woging in Öl gebannt: zwei hünenhafte Holzknechte zogen das am ganzen Leib schlotternde, aber mit dem Schrecken davon gekommene Mädel unter einem mächtigen Baumstamm hervor. Im Hintergrund kniete der Vater vor einem Bildstöckchen, beteten Eheweib und Ehehalten einen Rosenkranz. Simon mochte diese Art von „naiver“ Malerei, ja er hatte eine besondere Beziehung zu ihr. Hier ging es nicht um den goldenen Schnitt, um brillante Farbeffekte oder eine ausgetüftelte Bildkomposition. Den Loden-Leonardos und Vogelbeer-Vermeers ging es nicht um die hohe Malkunst oder den Gipfel des Parnass, sondern einzig und allein darum, der himmlischen Schutzpatronin für ihren Beistand gebührend zu danken. Auf dem nächsten Bild brannte es lichterloh. Brandwächter hantierten an einem vorsintflutlichen Spritzenwagen und mühten sich vergebens das Großfeuer unter Kontrolle zu bringen. Ringsum stand alles in Flammen. Ein einzelner Vierkanthof ragte wie ein Fels in der Brandung aus dem Flammenmeer. Angesichts dieses Wunders fiel der

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