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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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müssen, um Simon zu einer Audienz zu verhelfen. Er hegte allerdings Zweifel ob sein Einsatz zu greifbaren Ergebnissen führen würde. Seine Eminenz war ein Meister der rhetorischen Raffinesse. Wie kein Zweiter verstand er es, sich in nebulösen Andeutungen zu ergehen und mit gewählten, wohlgesetzten Worten um den heißen Brei herumzureden. Nach außen gab sich der alte Intrigant und Ränkeschmied stets konziliant und versöhnlich, ohne auch nur ein Jota von der harten Linie abzuweichen. Kurzum, der „Primas“ war ein apostolischer Apparatschik von dem man nur die offizielle Lesart der Geschichte zu hören bekam. Fragen nach dem Tod des Dechanten oder dem Verschwinden des Eremiten würde er mit dem Hinweis auf ein laufendes Ermittlungsverfahren unkommentiert lassen. Immerhin bestand die Chance, dass seine Eminenz beabsichtigte, die historische Dimension des Besuch Solanos herauszustreichen und es deshalb für angebracht hielt, einen vertraulichen Ton anzuschlagen. Mit gemischten Gefühlen näherte sich Simon dem übermannsgroßen, von zwei steinernen Löwen flankierten Portal. Die Torwächter fletschten ihre Zerberus-Zähne, um allen Ankommenden unmissverständlich kundzutun: Dies ist das Haus des Löwen vom Stamm Juda! Es bedurfte eines Kraftakts, um die schwere mit Metallbändern verstärkte Eichentür aufzuziehen. Im Innern umfing Simon ein diffuses, mystisches Zwielicht. Es dauerte einige Sekunden bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten und Einzelheiten wie die von weiß glänzenden Nippesfigürchen bevölkerte Lourdes-Grotte wahrnahmen. Simon tupfte aus alter Gewohnheit etwas Weihwasser auf seine Stirn und schlug dazu das Kreuz. Aus den unergründlichen Tiefen verschütterter Erinnerungen tönte der voluminöse Bariton des Priesters, der sich über einen wie am Spieß brüllenden Täufling beugte:
                „In nomini Patris et filii, et spiritu sancti taufe ich dich auf den Namen Simon Benedikt!“
                Simon entrichtete den Obolus für den heiligen Antonius und warf ein paar Münzen in den Opferstock. Ob die „Bedürftigen und Beladenen“ je etwas von dem „Armenpfennig“ sahen? Simon ging es da wie dem heiligen Thomas: Er hatte seine Zweifel. Diese mochte auch nicht der Heilige selbst zu zerstreuen, der barfuss und barhäuptig auf seinem Sockel stand und seinen Blick demütig gesenkt hielt. Denn da mischten sich auch andere, rauere Töne in den sanft säuselnden Himmelschor:
                „Hinweg Verfluchte, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist. Denn ich war hungrig, und ihr gabt mir nicht zu essen. Ich war durstig, und ihr hießet mich nicht trinken. Ich war fremd, und ihr nahmt mich nicht bei euch auf!"
     
    Heitere Helligkeit durchflutete den Kirchenraum. Pfeiler und Pilaster glichen leuchtenden, der Schwere des Stofflichen entrückten Lichterbahnen. Der in sinnlich, sakraler Formenfreude schwelgende Stuckdekor glänzte im strahlendem Weiß jungfräulicher Unschuld. Das Übermaß an Pracht und Prunk war Simon nicht geheuer. Die glatten, blitzblanken Marmorplatten knirschten wie dünnes Eis unter seinen Sohlen. Mit betrübter, melancholischer Miene näherte sich Simon dem Allerheiligsten. Immer wieder blieb er stehen, um sich widerwillig, ja ängstlich umzublicken. Er fühlte sich wie ein Kirchenräuber der Angst hatte auf frischer Tat ertappt zu werden. Die Zeit war stehen geblieben, Vergangenes und Gestriges verschmolzen. Die gestreng drein blickenden Apostel, die vom Schmerzensschwert durchbohrte Gottesmutter, der vom Glorienschein umglänzte Haupt des Heilands: alles befand sich da, wo es nach der unwandelbaren, christlichen Glaubenssymbolik hingehörte. Die Heilsbotschaft war wie ein Hollywood-Epos: am Ende siegte das Gute und die Schurken fuhren in einem große Showdown zur Hölle. Auf den Helden wartete eine Belohnung und auf den Strolch der Strick. Simon legte seinen Kopf in den Nacken, verlor sich im Anblick der die Herrlichkeit des Himmelreichs paraphrasierenden Deckenfresken. Das Füllhorn der Farben wurde ausgegossen, um das Werk Gottes zu rühmen, die Vielfalt und Fülle der Formen moduliert, auf eine metaphysische Ebene transponiert, um das Kyrie Eleison, das Credo, das Gloria anzustimmen – alles zur höheren Ehre des Schöpfers. Ein allegorisches Allegro, ein metaphysisches Menuett, ein prophetisches Präludium, vom geheimnisvollen Glanz des Glaubens durchwoben. In den szenischen Darstellungen

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