Cruzifixus
Ars Diaboli. Es besteht kein Zweifel: Dirrigl hat die Schriften des Necronomicon und des Lemegeton studiert und sich eingehend mit satanischen und spagirischen Praktiken beschäftigt. Sie können sich vorstellen wie mir zu Mute war: unser Dechant ein Teufelsanbeter!“
Simon schüttelte unmerklich den Kopf. Niederstrasser glaubte wohl einen unbedarften Dorftrottel vor sich zu haben! Woher nahm dieser Dreckskerl die Chuzpe, ihm die Mär vom gefallenen Engel auf die Nase zu binden? Simons Stimmlage veränderte sich, sein Ton wurde rauer, barscher:
„Der Teufel? Das meinen Sie jetzt nicht im Ernst oder?“
Simon rechnete mit einer brüsken Erwiderung des Alten. Niederstrasser seufzte jedoch nur aus tiefster Brust:
„Die moderne Psychologie neigt dazu, den Teufel zu verharmlosen, in ihm lediglich eine allegorische Figur, eine Projektion zu sehen. Das Dämonische ist demzufolge eine Verkörperung der der Psyche innewohnenden, finsteren Triebkräfte. Aber glauben Sie mir: Der Teufel existiert. Satan weilt leibhaftig unter uns! Das vom vierten Laterankonzil im Jahre 1215 verkündete Dogma gilt bis heute unverändert: der Teufel ist Teil unserer Welt und sein Wesen unterscheidet sich von dem der niederen Dämonen. Ich halte es da mit dem heiligen Bernhard von Clairvaux: Wer meint, dass das Böse überall seine Finger im Spiel hat, der ist im Irrtum. Wer hingegen glaubt, dass es den Teufel nicht gibt, begeht einen tödlicher Fehler! Es ist unser Wollen, dass uns in Luzifers Arme treibt!“
Simon schnippte einen imaginären Fusel von seinem Hemdsärmel. Hielt ihn Niederstrasser zum Narren oder war er selbst ein alter Narrß Das Thema Teufel ließ ihn zur Höchstform auflaufen:
„Der Teufel ist der alte Feind: der Vater der Lüge, der List und der Falschheit, der Überträger von Neid, Bosheit und Missgunst! Doch am Ende behält Gott das letzte Wort! Sie werden sehen!“
Simon trank sein Sherryglas leer. Irgendwie wurde er das seltsame Gefühl nicht los, im falschen Film gelandet zu sein.
Neben ihm tickte eine „Zeitbombe“. Das ockerfarbene Kuvert auf dem Beifahrersitz enthielt „sämtliche Beweise für die geheimen, satanischen Umtriebe dieser verwirrten Seele“, so hatte ihm zumindest Niederstrasser beim Abschied versichert. Noch widerstand er der Versuchung das Kuvert aufzureißen. Er ahnte, was das „Dirrigl-Dossier“ enthielt: einen blauen Umschlag mit Kopien der Server-Protokolle sowie ein blutroter Schnellhefter mit belastendem Material, dass den Dechanten als gemeingefährlichen Psychopathen und armen Irren entlarvte. Simon ging mit sich ins Gericht. Er hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen. Er hatte sich von Niederstrasser einlullen, mit einem simplen Trick übertölpeln lassen. Der Primas hatte ihm ein Bauernopfer auf dem Silbertablett serviert, eine Teilschuld eingeräumt und sich somit elegant aus der Affäre gezogen. Steile Zornesfalten zogen sich wie Spurrillen über seine Stirn. Er musste sich abregen, musste sich auf die Straße konzentrieren. Angespannt spähte er durch die Windschutzscheibe. Die Nebelsuppe draußen wurde zusehends dicker und sämiger. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Fahrzeuge leuchteten kurz und geisterhaft auf. Simons Gedanken drehten sich unentwegt im Teufelskreis: Wieso stellte Niederstrasser seinen einstigen Schützling als unberechenbaren Irrsinnigen, als geisteskranken Luziferjünger hin? Dominikus war nicht einen Deut verrückter gewesen als Niederstrasser oder er selbst. Er hatte vielmehr den Eindruck erweckt, dass er hell auf der Platte war, dass er zielstrebig und energisch daran arbeitete seinen Auftrag zu erfüllen: Pater Egid in die Finger zu bekommen und ihm Daumenschrauben anzulegen. Blieb die „Gretchenfrage“: Was wollte er von dem schrulligen Nazi-Narren? Das Schicksal des Alten schien ihm herzlich gleichgültig zu sein, schien in ihm den Abweichler, Renegaten und Deserteur zu erblicken. Warum suchte er ihn dann? Simon fiel nur eine plausible Erklärung ein: der Eremit hatte „Etwas“ was Dirrigl haben wollte. Was aber konnte dieses „Etwas“ sein? Etwas, das so wertvoll für seine Auftraggeber war, dass es Diebstahl und Mord rechtfertigte? Was konnte der „Arme Bruder“ besitzen, was die Kirche zu solch kriminellen Mitteln greifen ließ? Ein verbotenes Buch, eine
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