Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
Vom Netzwerk:
die obligaten Windmühlen zeichneten sich als Scherenschnitt auf weinrotem Plafond ab. Darüber prangte ein Goldkrönchen - wohl ein Verweis auf die königliche Deszendenz des Rebtröpfchens. Vinzenz leerte das Glas in einem Zug und schnalzte genießerisch mit der Zunge:
                „Ein komplexer Wein von hoher aromatischer Persistenz, langer, saftiger Abgang!“
                Irgendetwas ließ Simon indes zögern. War es die leuchtreklamerote Farbe, die ölig, schimmernde Schlierenschicht, die ihn das Schlimmste, den Gaumen-Gau befürchten ließen? Mit Todesverachtung kippte er den „Prädikatswein des Königs“ hinunter. Wieso mussten sich seine Befürchtungen nur immerzu bestätigen? Das Gesöff schmeckte als ob es aus säurehaltigen Essig-Essenzen destilliert worden war und hinterließ einen salzigen, pelzigen Nachgeschmack im Rachenraum. Vielleicht hatte sich der Winzer von Jesus inspirieren lassen und zur Abwechslung versucht Essig in Wein zu verwandeln. Wohlweislich enthielt er sich jedes despektierlichen Kommentars und krächzte nur:
                „Interessant! Ungewöhnliche Duftnote, vielschichtiges Bouquet!“
                Er ließ das halbvolle Glas stehen und kam von neuem auf die diabolischen Neigungen des Verstorbenen zu sprechen:
                „Mir sind diese Anschuldigungen nicht geheuer. Dirrigl, ein vom Teufel Besessener? Das glaube ich einfach nicht!“
                Das Dossier des Diakons ließ in punkto Umfang und Aussagekraft nichts zu wünschen übrig: neben Aktenmaterial eher zweifelhafter Provenienz enthielt es Kopien der Tagebucheintragungen, dazu einige handschriftliche Aufzeichnungen und Skizzen im Autograph. Demnach hatte sich die Gedanken- und Vorstellungswelt des Dechanten in abnormen Bahnen bewegt: Seitenweise magische Kreise, kabbalistische Formeln und numerologische Zahlenreihen. Beim Studium der teilweise unleserlichen, mit obszönen Kritzeleien übersäten Seiten drängte sich der Eindruck auf, dass bei den selbsternannten „Hexenmeister“, der angeblich intimen Umgang mit einem Sukkubus und einem Nachtmahr pflegte, mehr als ein Rad ab war. In seinem übersteigerten Größenwahn hielt er sich für den V-Mann einer im Vatikan sitzenden Loge von Teufelsanbetern, deren Ziel es war eine neue Weltordnung unter dem Szepter Satans zu installieren. Dirrigl schien zudem hochgradig paranoid veranlagt zu sein. Aus seinen Eintragungen ging hervor, dass er sich bedroht fühlte, panische Angst davor hatte von Anhängern einer Sekte namens die Söhne des Täufers entführt, entmannt oder gleich eliminiert zu werden. Absatzweise ließ der Priester des avestischen Ahrimans seiner ins Bilsenkraut schießenden Phantasie freien Lauf, beschwor die Gefahren einer arisch-apokalyptischen Weltverschwörung herauf oder malte das Menetekel einer messianisch-monistischen Internationale an die Wand, die sich um ihre verabscheuungswürdigen Ziele zu erreichen, der diabolischen Dialektik einer hegelianischen Hermeneutik bediente. Selbst Vinzenz, nach seinem eigenen Bekunden ein ausgewiesener Kenner der okkultistischen Materie, schien nicht ganz schlau aus dem pansatanistischen Elaborat zu werden. Mühte er sich doch zunächst darum, die exakte, empirische Dämonologie streng von den ontologisch orientierten Theorien des Satanismus zu unterscheiden, um sich daraufhin dem „Dämonischen“ im Kontext des Christus-Logos zuzuwenden. Nach dem sechsten oder siebten Achtel war Vinzenz zu der Überzeugung gelangt, dass Dionysos als Urbild einer ekstatischen, vom Feuer düsterer Leidenschaften entflammten Erlösergottheit Pate für die christliche Figur des Lichtbringers Luzifers gestanden habe. Jedenfalls antwortete er auch jetzt nur in Verklausulierungen auf seine Fragen nach seiner „Dämonsdiagnose“ im Fall Dirrigl:
                „Die Besessenheit kann vielfältige Formen annehmen. Es gibt da die seltsamsten Spielarten: für die einen ist Satan lediglich ein Sympathieträger für die anderen ein Idol, eine ideelle Identifikationsfigur. Eine Ikone des Irrationalen wenn du so willst.“
                Simons Enttäuschung machte sich unverhohlen Luft:
                „War er jetzt verrückt oder hat er nur so getan als ob? Kann es nicht sein, dass der Schlaukopf für den Notfall vorgesorgt hat: als ferngesteuerter Satanssadist hätte er im Falle einer Gerichtsverhandlung doch die besten Karten. Es klingt

Weitere Kostenlose Bücher