Cruzifixus
dem elysischen Elixier, war jedoch nicht ganz bei der Sache. Er sah seine Felle davonschwimmen. Erfolg oder Misserfolg der „Mission“ hingen einzig allein vom Wohlwollen des Alten ab. Simon hatte nichts in Hinterhand, kein Ass im Ärmel. Sollte er Vabanque spielen, einen Bluff riskieren? Er musste zumindest den Versuch wagen, etwas Substantielles in Erfahrung zu bringen. Simon schlug einen betont beiläufigen Ton an:
„Ich möchte nicht wie ein Schulmeister erscheinen, aber ich bin überzeugt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den Tod Dirrigls und den Verschwinden des Einsiedlers gibt. Ja ich habe Beweise dafür, dass zwischen den beiden mehr als ein Dissens in Glaubensfragen bestand. Dirrigl hat mir gegenüber angedeutet, dass er von den Jüngern des Einsiedlers bedroht wurde, ja dass er um sein Leben fürchten müsse.“
Das nachsichtige, begütigende Lächeln seines Gastgebers war wie weggewischt:
„Was wollen Sie damit andeuten? Das Dirrigl einem von langer Hand geplanten Mordkomplott zum Opfer gefallen ist?“
Das Grau seiner Augen bekam einen harten, metallischen Glanz:
„Sie bewegen sich da auf außerordentlich, dünnem Eis. Können Sie Beweise für ihre fragwürdigen Behauptungen vorlegen? Wie gesagt: Es gibt keinen vernünftigen Grund im Tod des Diözesandechanten etwas anderes als einen Unglücksfall zu sehen.“
Ein Eishauch ließ die Stimme des Alten gefrieren. Er schien über die unverschämt, anmaßende Art seines Besuchers im höchsten Maße verärgert, ja aufgebracht zu sein:
„Bevor Sie falsche Schlussfolgerungen ziehen, lassen Sie mich eines in aller Deutlichkeit klarstellen: Pater Egid gehört als Konfrater der Ordensgemeinschaft der Augustiner-Diskalzeaten strikter Observanz an und untersteht somit nach kanonischem Recht allein der Jurisdiktion seines Ordens. Falls Sie also irgendwelche abstrusen Anschuldigungen gegen ihn erheben wollen, dann wenden Sie sich bitte an die zuständigen Stellen!“
Und er fügte mit unverhüllt drohendem Unterton hinzu:
„Ich denke, wir haben uns verstanden!“
Seine Eminenz ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er die Audienz für beendet hielt. Es fehlte nur noch, dass er einen vor der Tür wartenden Lakaien herbeiklingelte, um ihn hinauszukomplimentieren. Simon hatte offensichtlich einen wunden Punkt berührt, einen Sachverhalt, den man ungern an die große Glocke hing.
Ihm blieben zwei Alternativen: zum Rückzug blasen oder der Frontalangriff. Simon wählte die zweite Option:
„Hochwürden, auch ich will etwas zu Recht rücken. Ich gehöre keineswegs zu den skrupellosen Rowdy-Reportern, die für eine knallige Story über Leichen gehen. Wenn Sie mich für einen impertinenten, unverschämten Saukerl halten, der der Kirche eines ans Zeug flicken will, dann täuschen Sie sich! Ich war der Letzte, der Pater Dirrigl lebend gesehen hat. Er machte auf mich den Eindruck eines verzweifelten, verstörten Menschen, den sein Gewissen drückt, der über alles reden will. Nicht mit dem Journalisten, sondern dem Schuljungen. Einem Freund, dem man sich rückhaltlos anvertrauen kann. Wenn Sie wollen hat er eine Art Beichte abgelegt.“
Niederstrasser betrachtete ihn mit gespannter Aufmerksamkeit. Seine Verstimmtheit schien sich gelöst zu haben. Mit der Geste des Gebieters gebot er ihm Schweigen:
„Worauf wollen Sie hinaus? Worüber hat Dirrigl mit Ihnen gesprochen?“
Der Primas schien innerlich hochgradig erregt zu sein. Sein Atem ging stoßweise. Es sah so aus, als ob er kurz vor einem kataleptischen Anfall stand. Simon nippte am Sherry-Glas und lies ihn zappeln. Für gewöhnlich war Simon ein mäßiger Mime, doch heute übertraf er sich selbst. Mit stockender Stimme hub er zu sprechen an, so als ob eine zentnerschwere Last sein Herz beschwere:
„Ich habe Dominikus versprechen müssen, über diese Sache Stillschweigen zu bewahren. Sie wissen ja, das Beichtgeheimnis zählt zu den geheiligten Sakramenten. Andrerseits, bin ich kein Priester!“
Simon seufzte, als ob der Gewissenswurm an ihm nagte, ob er das Patibulum, den Kreuzbalken auf seinen Schultern
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