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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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mit einem sorgfältig durchexerzierten Manöver eröffnet. Nun war sein Gegenspieler am Zug.
     
    Die hinter vorgehaltener Hand geäußerten Anschuldigungen zeigten nicht die geringste Wirkung. Das unbestimmte Lächeln Niederstrassers ließ keinerlei Rückschluss auf etwaige innere Gefühlsregungen zu. Ohne auch nur für einen Moment aus der Rolle zu fallen, strich er sich bedächtig durch den buschigen, grauen Bart und setzte eine bedeutungsvoll Miene auf:
                „Sicut umbra dies nostri super terram. Die unerwartete Abberufung unseres Mitbruders hinterlässt in uns ein Gefühl tiefer Trauer. Mit ihm haben wir einen unbeirrbaren Streiter Christi, einen unentwegt Suchenden verloren. Aber das ist eben der Lauf der Dinge!” Simon setzte seine anteilsvollste Betroffenheitsmiene auf:
                „Dominikus war ein Freund. Wir hatten uns zwar zeitweilig aus den Augen verloren, dennoch wiegt der Verlust schwer. Ich kann ihnen versichern, dass wir vom Merkur alles Menschenmögliche tun, um das Schicksal von Pater Egidius rückhaltlos aufzuklären!“
                Simon lächelte wie die personifizierte Unschuld. So einfach war seine Eminenz jedoch nicht aus der Reserve zu locken und zum Abschluss eines umfassenden „Kooperationsabkommens“ zu bewegen. Der Primas musterte ihn durch seine dickrandigen Brillengläser. Es war der Blick eines Verhörspezialisten der Inquisition, der die Beteuerungen und Versicherungen des Beschuldigten anzweifelt:
                „Herr Sternsteiner, mir liegt es fern ihre journalistischen Fähigkeiten in Frage zu stellen. Aber ich sehe da beim besten Willen keine Konkordanz. Beide Fälle müssen gesondert betrachtet werden. Wissen Sie, ich habe mich eingehend mit dem Phänomen der Prophetie beschäftigt. Die Verknüpfung zweier Ereignisse bedeutet noch lange nicht, dass eine kausale Beziehung besteht. Im Gegenteil: Wer die Augen vor den für ihn unbequemen Wahrheiten verschließt, sieht nur das was er sehen will. Jeder Visionär bewegt sich in einem selbstreferentiellen Teufelskreis. Aus Kongruenzen und Evidenzen folgert er …“
                Niederstrasser brach mitten im Satz ab und schraubte sich mit einer für sein Alter erstaunlichen Gelenkigkeit aus dem Sessel:
                „Entschuldigen Sie bitte meine Unaufmerksamkeit. Darf ich ihnen etwas anbieten? Einen Brandy, einen Sherry vielleicht?“
                Simon erwies sich als guter Gast und erwiderte erfreut:
                „Gerne! Ein guter Sherry in Ehren!“
                Niederstrasser öffnete die Flügeltüren eines Wandschränkchens, holte eine Karaffe und zwei Cognacschwenker hervor. Simon nutzte die Gesprächspause, um sich im Arbeitskabinett des Diakons umzusehen: vornehm, gediegenes Ambiente, edles Echtholzfurnier, mit Intarsien verziertes Mobiliar. Die Vitrinenschränke stammten wohl aus dem Fundus einer aufgelösten Klosterbibliothek. Hinter Glas reihten sich dicke und dünnleibige Bände, antiquarische Kostbarkeiten, die den Puls jedes Bibliophilen beschleunigten. Der alte Eisenfresser hatte offenbar eine Schwäche fürs Schöngeistige. Im Stile eines Butlers der alten Schule ließ Niederstrasser die bernsteinfarbene Flüssigkeit in die Gläser gurgeln:
                „Man sagt im Wein von Jerez mischten sich die Tränen und das Blut Jesu! Diesen Amontillado der Bodega Delado Zuleta hat mir der Erzbischof von Sevilla zum 50-jährigen Priesterjubiläum geschickt. Wissen Sie worin das Geheimnis seines trockenen, aber dennoch fruchtig, frischen Aromas besteht?“
                Simon wusste es nicht. Was bezweckte der alte Fuchs mit diesem Ablenkungsmanöver? Verwirrt schüttelte er den Kopf:
                „Da wäre zu erst einmal die nur in Andalusien kultivierte Palomino-Traube. Entscheidend für Gout oder Degout ist aber die Art des Ausbaus des Weindestillats in Fässern aus französischer Eiche. Ein Flor, eine hauchdünne Schicht aus Hefepilzen verhindert dabei die Oxidation des Weins. Seine leicht süßliche Note verdankt der Amontillado im übrigem einem Schuss Süßmost.“
                Im Stile eines weltgewandten Bonvivants prostete er ihm zu:
                „Sie wissen was die Pharisäer von Jesus behauptet haben: Siehe, was ist dieser Mensch für ein Fresser und Weinsäufer, der Zöllner und Sünder Freund!“
                Simon nippte an

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