Cruzifixus
auf etwas, dass sich unter den Lichtstrahl duckte und mit einem schrillen, angsterfüllten Quieken von dannen huschte. Simon erschrak sich fast zu Tode, sein Hasenherz pumperte heftig gegen den Brustknochen. Bräunliche Pelzleiber purzelten übereinander und suchten mit hektisch trippelnden Schrittchen ihr Heil in der Flucht. Längst bereute er es, sich auf ein Abenteuer mit solch ungewissem Ausgang eingelassen zu haben. Vinzenz schienen indes keine Gewissenbisse ob der Gesetzeswidrigkeit ihres unerlaubten Eindringens zu plagen. Ohne sich die geringste Zurückhaltung aufzuerlegen, ereiferte sich Vinzenz:
„Schau dir diesen Augiasstall an! Hier bräuchte es einen zweiten Herkules um mal richtig auszumisten!“
Der Holzboden war von einer gräulichen, aus Mäuse- und Rattenexkrementen bestehenden Sedimentschicht bedeckt. Die in einem sperrangelweitoffenen Kleiderschrank baumelnden Messgewänder, Chorhemden und Alben hatten allerlei Getier als Rückzugs- und Zufluchtsort gedient und befanden sich in einem dementsprechenden, gotterbärmlichen Zustand. Die samtenen, seidenen, mit Gold- und Silberfäden durchwirkten Brokatstoffe standen kurz davor ihren „heiligen Geist“ aufzugeben. Der Anblick der verstauben, von spitzen, scharf geschliffenen Zähnchen angenagten Evangeliare, Breviere und Missale ließ Simons Herz bluten. Es war ein Skandal, ja es war ein Sakrileg, dass sich das „Inventarium divinum“ in einem derartig desolaten Zustand befand. Frater Egidius, der „Heilige von Berg“, hatte offensichtlich nicht die geringsten Anstrengungen unternommen, um den Bestand an religiösen Büchern und liturgischen Utensilien vor Unbill, Fäulnis und Verfall zu bewahren. Angewidert empörte er sich:
„So ein Saustall. Das stinkt doch zum Himmel!“
Vinzenz machte sich mit der Zielstrebigkeit eines ausgebufften Grabräubers ans Werk. Im Kasernenhofton kommandiert er:
„Leucht mal hierher! Nein, dorthin!“
Er wühlte sich durch wüst übereinander geschichtete Bretter und nahm eine mit Eisenbändern beschlagene Holztruhe ins Visier. Mit gerunzelten Brauen begutachtete er das schartige, rostige Schloss:
„Wartest auf den jüngsten Tag oder was? Ich brauch den Werkzeugkoffer! Wirst sehen etwas Antirosta - und Sesam öffne dich!“
Das Schloss erwies sich jedoch als weitaus vertrackter als sein orientalisches Pendant. In der Rolle des Einbrechers lieferte Vinzenz keine überzeugende Performance. Er schwitzte, fluchte und fingerte mit Dietrich und Feile an dem Schließmechanismus herum. Erst als er zu roher Gewalt, zu Bolzenschneider und Stemmeisen griff, kapitulierte das Schloss. Ein dumpfer Laut der Befriedigung entrang sich seiner vor Stolz und Selbstgefälligkeit geschwellten Brust:
„Abrakadabra, Simsalabim – unser ist die Schatzkiste!“
Mit einer gewissen Zurückhaltung, ja mit einem Gefühl tiefer Ehrfurcht näherte sich Simon der Truhe. Was er sah, ließ seinen Atem stocken, ließ ihn wie einen Idioten mit weit aufgerissenen Augen ins Leere starren. Schliemann und Carter konnten nicht freudetrunkener gewesen sein, als Sie die Grundmauern Trojas respektive den Sarkophagdeckel des Tutenchamun vor Augen hatten. Simon grunzte wie ein Trüffelschwein, das die feinwürzigen, erotisierenden Aromen der weißen Knolle erschnuppert. Er, Simon Sternsteiner hatte den „Hort von Hochharting“, den „Gral des Eremiten“ entdeckt! In der Truhe türmten sich Stöße von rußgeschwärzten Folianten, stockfleckigen Schwarten, von Schimmelpilzkulturen befallenen Wälzern. Er wähnte sich am Ziel seiner Träume.
Die „Annales“ waren in speckig glänzendes Kalbsleder gebunden. Die Seiten knisterten zwischen Simons Fingern:
„Schau dir das an! Handgeschöpftes Büttenpapier, keine Schimmelflecken, keine Fraßspuren. Tadellos erhalten. Auf einer Auktion würde man dafür ein stattliches Sümmchen bekommen!“
Vinzenz wischte seine ölig, verschmierten Finger am Hosenboden ab:
„Wie viel ist das Zeug denn wert?“
Simon strich liebevoll über den mit Goldschnittmuster und feinen Fileten verzierten Buchrücken:
„Pi mal Daumen 15 oder 20000 würde ich
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