Cruzifixus
gefährlich:
„Ignorant! Was weißt du über Yggdrasil, den mythischen Weltenbaum der arischen Völker, der die Welt der Trolle, Menschen und Götter, der Niflhel, Midgard und Asgard miteinander verbindet und den Eckpfeiler gnostisch, germanischer Erkenntnis bildet?“
Seine ungestüm vorgetragene Attacke parierte Simon mit links:
„So weit ich mich erinnre war in der Edda die Rede von einer Weltenesche! Der Weltenbaum zählt zum mythologischen Fundus vieler Völker. Denk nur an den Baum der Hesperiden oder den Kreuzesstamm Christi. Er markiert die Weltachse und stützt gleichzeitig das Himmelsgewölbe. Die alten Griechen verehrten Zeus in einem heiligen Eichenhain. Da eine ausgewachsene Esche die Eiche in unseren Breiten noch an Höhe übertrifft, ist es nicht weiter verwunderlich, dass Sie als mythischer Baum kultisch verehrt wurde. Zumal ihr Laub besonders dicht und lichtundurchlässig ist.“
Vinzenz klappte die Kinnlade auf und zu. Er schien nicht recht zu wissen, wie er auf diesen mythologisch-botanischen Vortrag reagieren sollte. Endlich presste er hervor:
„Weiden meiden, vor Eichen weichen, Buchen suchen! Die Alten wussten genau, wo sie Schutz vor den Blitzen, sprich den Keilen Donars fanden – unter einer heiligen Buche!“
Ohne sich weiters um die Bedenken und Protestbekundungen seines unbotmäßigen Adepten zu bekümmern, schritt der Meister zur magischen Tat: er warf sich einen rabenschwarzen Poncho über, zog ein silbern funkelndes, mit Runenzeichen versehenes Amulett hervor und ließ es unter dem Gemurmel ritueller Zaubersprüche hin- und herpendeln. Endlich schien er die richtige Stelle gefunden zu haben. Er hob die Hände zum Himmel und psalmodierte:
„Nichts geschieht ohne Grund! Die Kugel, der Kreis sind so ewig wie rund! Feuer und Erde, vergehe und werde! Wind und Welle, wehe und zerschelle!“
Er ließ ein paar Sandkörner durch die Finger rieseln und erflehte den Beistand der Engel und Dämonen:
„Akatriel, Akriel, Ambriel steht mir bei! Arad, Ariel, Azariel kommt ihr Drei! Dabriel, Harahel, Israfel helft in Gottes Namen! Metatron, Sariel, Satarel säet euren Samen!”
Simon fragte sich, ob Maestro Cagliostro nicht einen der gefallenen Engel in seiner „Invocatio“ vergessen hatte? Mit vor Erregung bebender Stimme schnaubte der „Magus“:
„Adonai, Elohim, Sadai, brecht das Sigill des Todes entzwei! Höret ihr Geister, es rufet euer Meister!“
Vinzenz verstummte, reckte wie ein entrückter Visionär seine Arme in den sich verfinsternden Himmel. Ohne Vorwarnung begann er sich wie ein Kreisel um die eigene Achse zu drehen. In unregelmäßigen Intervallen stieß er unverständliche Grunzlaute aus. Simon war sprachlos. Hatte Vinzenz den Verstand verloren? Wieso sprang er wie ein Irrwisch herum und führte einen vogelwilden Veitstanz auf? Hielt er sich für einen Kobold, einen Satyr? Ihm war weder nach Hula-Hula, noch nach Cha-Cha-Cha zu Mute. Seine Füße, seine Kehle brannten wie im Fieber. Der schweißtreibende Aufstieg hatte ihn restlos ausgelaugt. Seine Zunge pappte am Gaumen, sein Mund war trocken wie die Wüste Taklamakan, sein Körper lechzte nach flüssigem Manna. Simon angelte sich eine Halbe Urstoff und machte sich die Hebelwirkung eines Einwegfeuerzeugs zu Nutze. Es machte Klack, es machte Knack und der Kronkorken schoss im hohen, ballistischen Bogen davon. War es Zufall, war es Schicksal, dass die Flugbahn des Geschosses den Weg des Derwisches kreuzte? Vinzenz griff sich an den Hinterkopf, vollführte einen wilden Bocksprung und verlor dabei das sorgfältig austarierte Gleichgewicht. Er knickte um, geriet ins straucheln, fiel aber nicht. Vinzenz schäumte wie eine zu heftig geschüttelte Flasche Schampus:
„Bist deppert oder was, mich aus der Trance zu reißen? Wenn es blöd läuft, bleib ich wegen dir Volltrottel in der Geisterwelt hängen. Jetzt schwing die Hufe und stell endlich den Dreifuß auf!“
Ausnahmsweise beeilte sich Simon den Anordnungen des Meisters Folge zu leisten. Am Ende war an dem Hokuspokus doch was Wahres – und die Pforten des Himmels oder der Hölle öffneten sich.
Abrakadabra – Rhizom und Rhabarber. Simon hatte es
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