Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
Vom Netzwerk:
durchaus ertragen, doch diese polemische Demontage? Das hatte er nicht verdient! Ein halbes Jahr lang hatte sich Simon durch die stenografischen Mitschriften von Hitlers Monologen gequält, die Protokolle von Augenzeugen ausgewertet, die „Target Information Sheets“ der US-Airforce gewälzt. Er hatte also die Originalquellen herangezogen und nur in Ausnahmefällen auf Sekundärliteratur zurückgegriffen. Das Recherchematerial war erstklassig – auch stilistisch war an seinem Buch nichts auszusetzen. Eine Reportage musste faktisch, kurz und bündig sein. Simon hatte betont lässig die Beine übereinander geschlagen und sich gegen die Kritik seines „Tutors“ verwahrt:
                „Das sehe ich ganz anders! Die Geschichte an sich ist spannend genug. Jeder Schnörkel, jeder geistreiche Schlenker, jedes schmückende Beiwerk ist da absolut überflüssig, ja störend. Das ist nicht bleitrocken mein Freund, sondern vielmehr authentisch.“
                Rainfried hatte seinen Blick zur Decke gerichtet, so als ob er hoffte, von dort oben eine göttliche Eingebung zu erhalten:
                „Dies Irae! Tage des Zorns. So müsste dein Buch heißen. Da ist alles drin: das mystische Element, das ewige Mysterium geheimer Kräfte und dunkler Mächte.“
                An diesem Punkt war ihm der Geduldsfaden gerissen:
                „Wie wär’s mit der Polarität von Weißwurst und Weißbier? Mit dem Dualismus von oben und unten, von vorn und hinten. Das ist doch mit Verlaub für den Arsch!“
                Rainfried hatte ihn angestarrt wie ein Forscher, der mit Verwunderung feststellen muss, dass die Laborraten in seinem Käfig nicht mausetot im Eck liegen, sondern quietsch fidel in der Gegend herum hoppeln:
                „Dein Adolf – der ist für den Arsch!“
     
    Rainfried schenkte sein Glas voll und drückte es ihm in die Hand. Statt mit einem „Ziveli!“ oder einem „Na zdorowje!“ auf die guten, alten Schulzeiten anzustoßen, holte er den guten, alten Horaz aus der Mottenkiste:
                „Habent sua fata libelli!“
                Simon enthielt sich jeglichen Kommentars, nippte an dem hochprozentigen Balkanfusel und überließ aus taktischen Gründen seinem Gegner die Initiative:
                „Der Heiland und Hitler! Das hat doch was, oder?“
                Sein Haifischlächeln wurde breit und breiter:
                „Weißt du in der Werbung, heißt es penetrant sein, insistieren, nach halten. Überleg doch: Dies Irae! Eine Sequenz des Requiems!“
                Simon runzelte die Stirn. Sollte er die Kröte schlucken? Sollte er so tun, als ob ihn diese abstruse Geschichte faszinierte? Wie ein Mime in einer Boulevardkomödie, der eben von seiner Partnerin erfährt, dass diese beabsichtigt sich von ihrem Göttergemahl scheiden zu lassen, rief er verblüfft:
                „Das ist nicht dein Ernst, oder?“
                Rainfried ließ den Blindmacher die Kehle hinab rinnen und schnalzte genießerisch mit der Zunge. Sein Gesichtsausdruck ähnelte dem eines Grabräubers, der den Stein des Weisen in Händen hält:
                „Warum nicht? Ich sehe den Plot deutlich vor mir: ein braun gebrannter Altphilologe arbeitet mit einer Dechiffrierspezialistin irgendwo in der Wüste Palästinas an der Entschlüsselung einer Schriftrolle. Er ist Deutscher und Sie Diaspora-Jüdin! Doch da sind noch andere Parteien, die auf den Papyrus scharf sind! Rund um die Ausgrabungsstätte gehen merkwürdige Dinge vor: ein russischer Mafioso kreuzt samt einer Hundertschaft schwer bewaffneter Söldner auf. Ein Kardinal kommt ihm mit seinem Gorilla-Gefolge in die Quere! Die Bösewichte scheuen vor keiner Schurkerei, keiner Mordtat zurück, um in den Besitz des Schriftstücks zu gelangen. Derweil gelingt es unserem Pärchen die Jäger des Jesus abzuschütteln und die Handschrift mit Hilfe spezieller Dechiffrierverfahren zu entschlüsseln. Es handelt sich um eine Evangelienabschrift, die von Widersachern Jesu angefertigt wurde.“
                In Simons Stimme schwang unverhohlener Sarkasmus:
                „Und wo bleiben die Nazis?“
                Sein „Ideenlieferant“ fuchtelte mit Armen und Händen herum:
                „Das liegt doch auf der Hand! Streng deinen Kopf an. Der Text enthält Hinweise auf

Weitere Kostenlose Bücher