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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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winkte amüsiert ab:
                „Na klar, Boethius! Letztlich ist doch alles nur eine Frage des Standpunkts! Borges sagt in seinem Babel-Buch: vom archimedischen Aleph aus, lässt sich das Universum aus den Angeln heben.“
                Die Rolle des selbstgefälligen Spötters war ihm wie auf den Leib geschneidert. Um seiner Eitelkeit zu schmeicheln, ließ er nichts unversucht andere herabzuwürdigen und als dilettierende Halbgebildete zu desavouieren. Wie üblich, griff er zum sublimen Stilmittel der Paralepsis:
                „Simon, ich will dir nicht ans Bein pinkeln, aber ich wäre ein schlechter Freund, wenn ich dir keinen reinen Wein einschenken würde. Das Marktpotential eines Manuskripts wird für mich zum Lakmustest. Ehrlich gesagt sehe ich keine Chance für dein Berghof-Buch. Knopp und Konsorten bedienen bereits ad nauseam, sprich bis zum Erbrechen, das dämonische Killer-Klischee der Nazis. Selbst mit den intimen Tagebüchern Eva Brauns, in der die First Lady pikante Details über die Sexualpraktiken des Führers enthüllt, kommst du gegen diese Kamarilla nicht an!“
                Rainfried grinste maliziös:
                „Da müsstest du schon einen Pornoschinken mit Eva Braun und dem fetten Hermann als Protagonisten ausgraben!“
                Simons Nackenhaare sträubten sich, stellten sich auf wie die Stacheln eines in die Enge getriebenen Igels. Es ärgerte ihn, dass er sich in diese missliche Lage hineinmanövriert hatte. Rainfried war ein elender Schwätzer, der sich ein Vergnügen daraus machte, die Dinge schlecht zu reden und andere herunterzuputzen. Nur weil er neben dem BWL-Stadium ein paar Alibiseminare in Literaturgeschichte, Semiotik und Narratologie belegt hatte, glaubte er sich als Kritikerpapst aufspielen zu müssen. Wieso ließ er sich diese kleinen Seitenhiebe, diese infamen Gemeinheiten gefallen? Es hätte ihn misstrauisch stimmen müssen, dass ihn Raffi „ganz spontan“ zu einem „literarischen Sondierungsgespräch“ in sein Büro eingeladen hatte. Wieso hatte er die Lunte nicht gerochen? Rainfried tat so, als ob er ihn ins Vertrauen ziehen wolle:
                „Weißt du Simon, unter uns gesagt: heute schreibt jeder Volltrottel ein Buch! Um als Verleger zu überleben, musst du die Rosinen aus der Scheiße picken! Es ist extrem schwierig mit einer neuen Edition wie X-Dream Fuß zu fassen. Ich kann jedoch in aller Bescheidenheit behaupten, dass es mir mit meinem innovativen Produktportfolio gelungen ist, den etablierten Verlagen Marktanteile abzuluchsen!“
                Übergangslos wechselte er das Thema:
    „Möchtest du einen Grappa? Komm, lass uns auf die alten Zeiten anstoßen.“
     
    In Simon brodelte es. Was bildete sich dieser Dummschwätzer ein? Hielt er ihn für einen kompletten Idioten, dem man einfach so abservieren und mit einem Schnäpschen abspeisen konnte? So nicht! Simon schlug einen verbindlichen, beiläufigen Ton an:
                „Klar doch! Einen Klaren in Ehren, kann niemand verwehren!“
                Rainfried rang sich ein honigsüßes Lächeln ab und wühlte in den Schubfächern seines Designer-Schreibtischs:
                „Wo habe ich denn die Flasche hin? Hat sich wohl die Putze einen vergnüglichen Abend mit dem Portier gemacht.“
                Rainfried schien den dünnen Dienstbotenwitz komisch zu finden. Jedenfalls brach er in ein krampfhaft, affektiertes Lachen aus. Simon nutzte den Heiterkeitsausbruch, um einen neuen Anlauf zu nehmen:
                „Urteilst du da nicht etwas vorschnell? Es geht mir nicht darum die Banalität des Bösen an den Pranger zu stellen, sondern das Dämonische zu demaskieren und die Chiffren des Chamäleonhaften zu benennen. Mich interessiert das Schizophrene in Hitlers Scheinwelt: hier die Idylle am Berghof, dort die Hölle von Auschwitz. Hier der Naturbursche und Biedermann, dort der Brandstifter und Massenmörder!“
                Endlich zog sein „alter Freund“ eine bauchige Buddel aus der untersten Schublade:
                „Na, da haben wir ihn ja! Die Buddel hab ich bei den Tagen bosnischer Literatur in Sarajevo mitgehen lassen! Ein Slibowitz wie du ihn nur alle hundert Jahre zu trinken bekommst!“
                Das demonstrative Desinteresse an seinem Buch, die aufgesetzte Großtuerei brachten Simon in Rage. Was hinderte ihn

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