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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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Zweifel erhaben. Jedoch fehlte es dem Junior an den nötigen Ellenbogen, um seinen Widersacher Paroli zu bieten. Er war zu gutherzig, zu naiv und vertrauensselig, um die Schliche des Bösen zu durchkreuzen und eine neue Weltordnung aufzurichten. Gottvater Zebaoth zögert. Soll er seinen Sohn noch mal in diesen Sündenpfuhl, in diese Schlangengrube schicken? Würde Jesus ein zweites Fiasko erleben? Würde er dem Teufel ungewollt Tür und Tor öffnen?“
                Simon zögerte gleichfalls. War der Einstieg nicht zu episch breit? Sollte er nicht besser mit einem Paukenschlag beginnen, dem Antichristen ein Blutbad, ein Massaker anrichten lassen? Er spulte das Band zurück und begann von neuem:
                „Die Gesandten des Antichristen konferieren unter strengster Geheimhaltung mit einer Delegation aus Rom. Die Vertreter des Pontifex und Luzifers belauern sich gegenseitig, beschwören mit diplomatischen Doppelzüngigkeiten ihre Eintracht im Kampf gegen die jüdisch, freimaurerische Weltverschwörung. Jenseits aller ideologischen Differenzen und Divergenzen eint beide Seiten der Hass auf den alten Feind. Nach langen, kontrovers geführten Debatten verabschieden die Konferenzteilnehmer eine gemeinsame Resolution. Langsam nimmt der luziferisch-vatikanische Plan Gestalt an: ein groß angelegter Propagandafeldzug soll rund um den Globus Stimmung gegen die pervertierten, neoliberalen Nabobs machen. Eine fünfte Kolonne hat die Aufgabe, die gegnerischen Reihen zu infiltrieren, im Untergrund zu wühlen und zwischen den einzelnen Interessengruppen Misstrauen zu säen. Die Propagandaabteilungen des Heiligen Stuhls und der luziferischen Liga vereinbaren eine enge Zusammenarbeit, um angeblich streng geheime Sitzungsprotokolle und Dokumente wie den „Codex Christi“, die sensationelle Enthüllungen über die konspirativen Absichten des Feinds enthalten, zu lancieren. Der „Codex“ enthüllt den perfiden Plan einer verbrecherischen, von assimilierten Börsenjuden, freimaurerisch gesinnten Rotariern und reichen Oligarchen kontrollierten Verschwörerclique, den Petersdom, das Pentagon, den Kreml und die Kaaba in Mekka auf einen Schlag in die Luft zu sprengen und einen dritten Weltkrieg zu entfachen. Die Clique beruft sich dabei auf die geheimen Lehren Jesu Christi, eben jenem Codex des Christus.“
                Simon drückte die Stopp-Taste. Wie sollte es weitergehen? Die Intrige, der Plot durfte sich nicht mit überflüssigen Details aufhalten und sich auf Nebenschauplätzen verlieren. Er musste wie einer der hoch bezahlten Script Doktoren Hollywoods vorgehen, klare Fronten schaffen, eindimensionale Charaktere und stereotype Konstellationen verwenden: hier die Guten, dort die Bösen, hier die Weißen, dort die Schwarzen. Hic Rhodus, hic salta! Punktum! Ein Qualitätsbestseller musste spannungsgeladene, mit Sex und Gewalt untermischte Unterhaltungskost bieten. Simon suchte nach einem brauchbaren Arbeitstitel, nach einer Alternative zum „Codex“: “Der Endsieg des Erlösers! Der Kaiphas-Komplott!“ Widerstrebend musste er Rainfried Recht geben, jener Jude namens Jesus bot genug Stoff für mehr als einen Thriller.
     
    Wie ein Kaninchen auf die Schlange starrte Simon auf die Schlusslichter der vor ihm fahrenden Autos. Dem Thema mangelte es nicht an Brisanz. Falls er sich über einen Jesus-Thriller wagte, musste er höllisch aufpassen, dass er sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnte. Sonst handelte er sich am Ende nichts als Ärger ein und landete wegen  „Verletzung religiöser Gefühle“ vor Gericht. Als Chefredakteur des „Merkurs“ hatte er gelernt, rigide Selbstzensur zu üben. Bestimmte Geschichten, bestimmte Schichten der Geschichte waren Tabu.
                Heute beschnitt indes niemand die Auswüchse seiner Phantasie. Zerhackte, bruchstückhafte Bildsequenzen flimmerten über seine Netzhaut, Trugbilder und Phantasmagorien narrten seine Sinne: Simon sah ein riesiges Transparent vor sich, auf dem der Gekreuzigte sein blutüberströmtes Antlitz gen Himmel wandte. Der Himmel hatte sich verdüstert. Am unteren Bildrand marschierte eine gesichtslose Armee schwarz gewandeter Finsterlinge in die Schlacht. Satan hüllte sich in einen scharlachroten Umhang und nahm die Parade des Höllenheers ab.
                Die Optik war entscheidend. Der Mensch war ein visuelles Wesen, der in einer materiellen, ideellen und medialen Welt lebte. Nur bewegenden, starke

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