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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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Stelle am Kinn gefahren. Dabei hatte er ein Gesicht gemacht, als ob er auf einen bösartigen Tumor gestoßen war:
                „Der Titel ist madig! Klingt nach unterer Kreis- und Preisklasse! Hört sich nach epigonenhafter SS-Esoterik an!“
                Wild mit den Armen gestikulierend, hatte er einen empörten Rezensenten beim literarischen Quartett gemimt. Er schien nicht einmal zu bemerken, dass ein Ascheregen auf die dunkel gebeizte Mahagoniplatte seines Schreibtisches niederging:
                „Ich hab mir die Zeit genommen und die ersten Kapitel deines Manuskripts überflogen. So wie ich das sehe, hast du die historischen Fakten aus Akten und Aufzeichnungen kompiliert – und sei es nun bewusst oder unbewusst – Textteile und Bruchstücke disparater Provenienz amalgamiert. Da ist zu wenig Pep drin, die Story funktioniert nicht! Da musst du noch mal mit der Feile ran. Baue ein Romanze ein, lass dir eine packende Rahmenhandlung einfallen!“
                Simon war zur Salzsäule erstarrt. Wie sollte er auf diese vernichtende Kritik reagieren? Doch Rainfried hatte ihm keine Denk-, keine Atempause gegönnt und weiter auf ihn eingedroschen:
                „Lass deinen Phantasiemuskel spielen. Da fehlt es an dramaturgischer Emphase, an knisternder Spannung! Du musst lernen strikt zwischen Manier und Stil zu unterscheiden: Ersteres bedeutet im Hegelschen Sinne, die wiederkehrende Obsession eines Autors, der sich ständig selbst imitiert und das Zweite die Fähigkeit das Pathos durch Erfindungskraft zu überwinden und einen, eigenen unverwechselbaren Stil zu kreieren.“
                Hatte er sich verhört? Oder beschuldigte er ihn tatsächlich - wenn schon nicht explizit, so doch zumindest implizit - ein Plagiator zu sein? Rainfried hatte sein Manuskript aufgeschlagen und die  Zerberuszähne gebleckt, als ob er das Fleisch vom Satzgerippe nagen wolle:
                „Ende März 45 plante Hitler Berlin und den Bunker Adieu zu sagen. Vom Berghof aus glaubte er die Verteidigung der Alpenfeste besser organisieren zu können. Der Führer schickte ein Vorauskommando auf den Obersalzberg, um alles für seine Ankunft vorzubereiten.“
                Das Papier knisterte und knitterte unter Rainfrieds Raubtierklauen:
                „In der für ihn typischen Sprunghaftigkeit beschloss Hitler überraschend in Berlin auszuharren. Er teilte seinem Stab seinen Entschluss mit, dass er seine historische Mission erfüllen und bis zur letzten Patrone gegen den Bolschewismus kämpfen werde!“
                Im Tonfall eines unter chronischer geistiger Inkontinenz leidenden Oberlehrers belehrte Rainfried seinen auf Abwege geratenen Eleven, um ihn auf den Pfad der schriftstellerischen Tugend zurückzuführen:
                „Mal ehrlich! Das ist doch arschlangweilig!“
                Simon hatte sich auf die Lippen gebissen und stumme Zwiesprache mit der fratzenhaften Visage des ochsenmäuligen Ölgötzen gehalten. Rainfrieds Stimme hatte so unpersönlich und unbeteiligt wie die eines Nachrichtensprechers geklungen:
                „Das Alliierte Oberkommando wusste jedoch aus Geheimdienstberichten von den Plänen Hitlers. Daraufhin erging umgehend der Angriffsbefehl.“
                Sein „Mentor“ schien einen Buchhalter parodieren zu wollen, der irgendwelche imaginären Zahlenreihen herunterleierte:
                „275 Lancaster- und Mosquito-Bomber der Royal Air Force und 98 Mustangs der 8. US-Luftarmee flogen in zwei Wellen einen Angriff auf den Obersalzberg. Der kombinierte Kampfverband warf insgesamt 1232 Tonnen an Spreng- und Brandbomben ab. Die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur waren verheerend. Dagegen gab es nur verhältnismäßig wenige Todesopfer zu beklagen. In seiner Ausgabe vom 30. April berichtet der Erchtenhaller Anzeiger von insgesamt 31 Toten. Bormann notierte in seinem Tagebuch lakonisch: 25. April. Göring aus Partei ausgestoßen! Erster Großangriff auf den Obersalzberg! Berlin eingeschlossen.“
                Wie ein von den indiskutablen Leistungen seiner Schauspieltruppe jäh erzürnter Theaterregisseur giftete er:
                „Da fehlt der Esprit. Da fehlt die Pointe. Am Ende eines Kapitels musst du einen Kracher zünden, damit der Leser weiter liest.“
                Simon konnte konstruktive Kritik

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