Cruzifixus
daran, aufzustehen, zu gehen und ihn seinen Scheißslibowitz selber saufen zu lassen? Am Gymnasium hatte er dem eingebildeten Laffen schließlich auch Kontra gegeben und ihm gehörig die Leviten gelesen. Geistig war er ihm allemal gewachsen.
Simon hatte ein Prädikatsexamen mit Bestnoten in der Tasche, hatte für die Magazinbeilage der SAZ gearbeitet, hatte sich mit kritischen Reportagen zu historischen Themen sowie als engagierter Essayist einen Namen gemacht. Vor mittlerweile drei Jahren hatte er den Sessel des Chefredakteurs beim „Virgilswinkler Merkur“ übernommen. Das war zwar gewiss kein Karrieresprung, aber in der Provinz genoss man als arrivierter Journalist noch ein gewisses Prestige. Sein Salär konnte sich sehen lassen – und der „Merkur“ besaß auf lokaler wie regionaler Ebene eine marktbeherrschende Monopolstellung. Die pomadige Politikerriege, die Amigo-Lobbyisten und Hinterhof-Honoratioren nahmen den „Merkur-Mann“ durchaus ernst, ja er wurde respektiert, umworben und gebauchpinselt. Hier hingegen kam er sich wie ein lästiger Bittsteller, ein subalterner Domestik vor, dem sein Brötchengeber aus einer Laune heraus eine Audienz gewährte. Nein, so durfte man nicht mit ihm umspringen.
Der Ton machte bekanntlich die Musik. Das hochnäsige Gehabe des Empfangsblondchens, die reservierte, zugeknöpfte Haltung der Lektoren-Lady hatte nicht gerade dazu beigetragen, ihn in Hochstimmung zu versetzen. Das ungute Gefühl hatte sich verstärkt, als er Rainfrieds Loft betrat: an den Wänden hingen großformatige, pseudoavantgardistische Farbklecksereien neben bedrohlich drein blickenden Karnevalsmasken und Fasnachtslarven. Auf einer roh behauenen Steinstele hockte ein auf seine kubistischen Grundformen reduzierter, glatzköpfiger Ölgötze. Rainfried hatte sich befleißigt gefühlt, den kunstsinnigen Mäzen herauszukehren:
„Die Sammelleidenschaft liegt mir im Blut. Mein Urgroßvater war Gouverneur in Kaiser-Wilhelm-Land, dem heutigen Papua-Neuguinea. Von seinen Strafexpeditionen gegen aufständische Eingeborenenstämme hat er Kultmasken, archaische Götzenfiguren, mit mythologischen Ornamenten bemalte Schildkrötenpanzer mitgebracht. Mein Großonkel war Missionar in Togo. Ein Gelehrter vom alten Schrot und Korn, ein Philanthrop, der die religiösen Riten und Gebräuche der Urwaldvölker studiert hat. Die Masken hier sind Originalarbeiten aus der Schnitzerschule der Ashanti-Könige. Keine billigen Repliken!“
Es wäre kontraproduktiv gewesen gleich zur Sache zu kommen, deshalb hatte er ihm wie eine Hofschranze hofiert:
„Eine Auswahl, die einen feinen, distinguierten Sinn für Ästhetik verrät!“
Rainfrieds feistes Faunsgesicht hatte einen wohlwollenden Ausdruck angenommen. Um Simons Misstrauen einzuschläfern, hatte er ihm eine Zigarre der Nobelmarke Montechristo offeriert:
„Habe ich beim Forum lateinamerikanischer Literatur in Havanna erstanden. Bester kubanischer Tabak, von Hand gerollt!“
Um nicht als schmarotzender Nassauer zu erscheinen, hatte er dankend abgelehnt:
„Bedauere, mein Lieber! Aber ich bin gerade dabei meinen Nikotinkonsum einzuschränken. In unserem Alter muss man langsam anfangen, auf seine Gesundheit zu achten.“
Ohne das Thema zu vertiefen, hatte sich Rainfried die Havanna angesteckt und war zum geschäftlichen Teil der Unterredung übergegangen:
„Du willst also dein Buch an den Mann bringen? Also erstens: nicht jeder Journalist hat das Zeug zum Romancier. Zweitens: das Buch muss ins Verlagsprogramm passen und Cross-Selling Potenziale eröffnen. Punkt Drei: in den Discountern und Buchhandelsketten spielt die Musik - aber die Margen sind beschissen! Viertens: du brauchst einen Aufhänger, um am Point of Sales, am POS die Kunden anzulocken!“
Wie ein Camorra-Boss hatte er an seiner Zigarre gepafft:
„Ergo! Wenn ein Autor meint sich etwas von der Seele schreiben, die Untiefen einer gespaltenen Persönlichkeit ausloten zu müssen, ist er total fehl am Platz!“
Rainfried hatte sein Froschmaul gespitzt und aus dem blauen Dunst Rauchkringel geformt:
„Mythos Berghof!“
Seine Hand war über eine schlecht rasierte
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