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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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Geschichte vom Menschenfischer.“
                Simon gab sich keine Blöße, verzog keine Miene:
                „Nun nicht direkt! Das griechische Wort für Fisch lautet Ichthys. Das wiederum ist ein Akrostichon, dass den messianischen Anspruch Jesu dokumentiert: Jesus Christus, Sohn Gottes und Erlöser der Welt. Im Kreuz sahen die in der jüdischen Gedankenwelt verankerten frühen Christen ein Symbol römischer Knechtschaft und Unterdrückung. Erst unter Kaiser…“
                Griesgruber winkte ungeduldig ab:
                „Sie machen das schon. Das ist ihre Story. Denken Sie nur an eins: die besten Geschichten werden mit Blut geschrieben!“
     
    Auf den Bergen wohnte die Freiheit. Mit jedem Höhenmeter kam Simon dem Himmel ein Stück näher. Er sog die frische Bergluft in seine schlaffen Bürolungen. Hier oben atmete es sich leichter. Die menschlichen Niederungen lagen hinter ihm. Betrachtete man die Welt von oben, verschoben sich die Perspektiven, veränderten sich die Relationen, schrumpfte das menschliche Maß zum Maß von Mikroben.
                Gott selbst war wie ein Berg: gigantisch, gefährlich und unnahbar. Der moderne, materialistisch eingestellte Mensch nahm Gott nicht mehr ernst, erblickte in ihm höchstens einen verschrobenen Professor mit weißer Einsteinmähne, der Pfeife schmauchend vor einer Schiefertafel stand und unablässig mathematische Formeln an die Tafel kritzelte und wieder wegwischte. Für Simon war Gott jedoch mehr als der dilettantische Versuch sein eigenes, unbedeutendes Ich in den Himmel zu heben. Gott war unendlich, unbegrenzt und undefinierbar: ein Abstraktum, ein Mysterium, das Zeit und Raum umspannte, für den unser Universum mit all den Galaxien, kosmischen Staubwolken und Sternnebeln nur ein Feldversuch unter vielen war. Jede Welt eine eigene kleine Petrischale, auf der die unterschiedlichsten Formen von Leben gediehen.
                Wie ein lüsterner Faun lag Simon auf einer flechtenfleckigen Bank und blinzelte träge in die Sonne. Stille senkte sich über die Wipfel. Vom Himmel her tönte das Gewisper der Sphären. Eine sanfte Brise trug den himmlischen Hymnus an sein Ohr. Ein Trompetenthema stieg aus dunstigem Gewölk zum lichten Blau empor. Ein magisches Moll, vom Spiel der Flöten und Schalmeien umrankt. In modulierter Melancholie flossen die Tonkaskaden zu Tal, hallten als leises Echo von den Felsenhöhen wider, ehe ein Geisterchor anhub zu tremolieren: De profundis clamavi ad te Domine! Wenn Gott existierte, dann in der Höhe.
                Die Höhensonne ließ ihn faul und rammdösig werden. Ohne sich eigens aufzurichten angelte er eine Halbe Bergbock aus dem steingrauen Jägerrucksack. Das süffige, obergärige Gebräu war ein Göttertrunk, der die Grillen vertrieb und Leib und Seele austarierte. Seine Lider flatterten wie Libellenflügel als das herbe Hopfengebräu den Rachenraum flutete und einem Sturzbach gleich den Gaumenschlund hinab schäumte. Wie nach einem halbstündigen Dauerorgasmus stöhnte er:
                „Ah! Spinn ich oder bin ich schon im Himmel?“
                Der lichte Glanz, das linde Lenzlüftchen versetzten ihn in einen Glückstaumel, ließen seinen Geist Flügel wachsen, ließen ihn in träumerischer Selbstvergessenheit zu den Wolken hinauf schweben. Mit geschlossenen Augen erkannte er das innere Ebenmaß, die harmonischen Proportionen im Gefüge der Dinge, fühlte sich in Einklang mit sich und der Natur. Er bewegte sich in einem Grenzbereich zwischen Traum und Trance, flog von der Thermik getragen wie ein Adler über die Berggipfel. Glich der Geist des Menschen nicht dem Äther? Er strömte ohne Ziel dahin – und niemand wusste wohin.
                Simon blinzelte in die Sonne, linste zu den versteinerten Urweltkreaturen, zu den Fels gewordenen Drachen und Panzerechsen hinüber. Der Schattensaum der Bergkämme wich den Strahlen der Sonne, zog sich in Schründe und Spalten zurück. Das grell, gleißende Licht des Mittagsgestirns ließ die Firnreste in den Felsmulden wie hochkarätige Diamantencolliers funkeln. Im weiten Rund des alpinen Amphitheaters steckte die Arbeit von Jahrmillionen: chthonische Kollisionen tief im Erdinnern hatten den Boden einer flachen Meeresbucht aufgewölbt, hatten das Kalkgestein zu lotrecht aufragenden Felswänden aufgetürmt. Bei ihren Wanderungen hatte sein Großvater jeden der urzeitlichen

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