Cruzifixus
Assoziationen mit dem Martyrium, der Kreuzigung Jesu. Etwas, dass den Durchschnittsdörfler zum Kauf animierte. Im Hochgefühl seines Geniestreichs fühlte er sich eins mit den Männern, die mit einem Federstrich Welt- oder Geistesgeschichte geschrieben hatten, die wie Cäsar, Plato oder Aristoteles „pars pro toto“ standen und ins Reich der rhetorischen Figuren eingegangen waren.
Sein Blick schien ihm kühner, seine Nase cäsarischer, dantesker, seine Haltung aristokratischer als die des gemeinen Publizisten-Plebs um ihn. Mit wehender Künstlermähne erklomm er die Stufen des Parnass hinauf. In den Redaktionsräumen summte und surrte es wie in einem Bienenstock, Handys schrillten, Stöckelschuhe trippelten im Schweinsgalopp durch die Gänge. Er spürte die bewundernden, neidischen Blicke der Tippsen, Pixelschubsen und Redakteure im Rücken. Das Blubbern der Espressomaschinen, das Klirren der Kaffeelöffel erstarb. Gedämpftes Getuschel begleitete seinen Triumphzug. Aus den Büros der Anzeigenabteilung vermeinte er vereinzelte „Hosianna-Rufe“ zu hören, die ihm den „Merkur-Messias“ galten. Dieser Artikel war eine Meisterleistung, der selbst den größten Neidhammeln Respekt abnötigen würde.
Mit der undurchdringlichen Miene des kampferprobten Gazetten-Gladiators betrat er die Arena, betrat er das Büro seines „Herrn“, des Herausgebers des „Merkurs“ sowie diverser Werbepostillen und Anzeigenblättchen Adolf A. Griesgruber.
Griesgruber kultivierte das Image des Zeitungszaren und Medienmogul, der wie ein Duodezfürst über seine Untergebenen wachte. So ähnelte sein mit rustikalem Landhaus-Mobiliar bestücktes, mit edlen Tropenhölzern vertäfeltes Arbeitszimmer dem Empfangssalon eines exzentrischen, englischen Barons mit einem Faible fürs Exotische. In Wahrheit war der Merkur-Verleger jedoch nichts weiter als ein neureicher, allein um Profite und Rendite kreisender Kleingeist, der den Klassendünkel und Herrensinn des alteingesessenen Landadels vom Schlage derer zu Reichinger-Schwarzenstein kopierte. Ein zu Geld gelangter Provinzneurotiker, der seine Profilneurose mit wichtigtuerischem, arrogantem Gehabe zu kompensieren suchte. Griesgruber war der Archetyp des neoliberalen Margenmaestros, der bei Reizthemen wie Mitbestimmung oder dezentrales Management schmerzhaft zusammenzuckte. Ein entschiedener Verfechter des freien Unternehmertums, dessen blässliche Vampirvisage bei Forderungen nach mehr Lohn und Gehalt hochrot anlief. Kurzum, er war ein ausbeuterischer Drecksack. Simon hatte indes gelernt, seinem Chef mit der abwartenden, gleichmütigen Distanziertheit eines Gutsverwalters zu begegnen. So hatte sich zwischen ihnen ein klar umrissenes Arbeits- und Untergebenenverhältnis bar jeglicher persönlicher Sympathien oder Animositäten entwickelt. Mit einem militärisch knappen Kopfnicken bedeute ihm Griesgruber Platz zu nehmen. Ohne Umschweife, ohne sich wie üblich über die prekäre Lage der Zeitungsbranche auszulassen, kam er zur Sache:
„Gratuliere Sternsteiner! So müssen Aufmacher aussehen! Der Leser will große Emotionen, bewegende Geschichten die auf einer zweiten, metaphysischen Ebene Raum für spirituelle Spekulationen lassen.“
Griesgruber lächelte wie ein vom Vorwurf des zehnfachen Mords freigesprochener Camorra-Boss beim Verlassen des Gerichtssaals: „Zigarre gefällig?“
Um den Leib des dickbäuchigen Tabaktorpedos schlang sich eine bunte Banderole. Simon kannte die Marke: El Cigarro. Ein billiges Kraut, das das Näschen jedes Habano-Afficionado beleidigte:
„Danke, ich bin gerade dabei mit dem Rauchen aufzuhören.“
„Ein löblicher Vorsatz mein Lieber! Ich begrüße es, wenn meine Mitarbeiter aktiv bleiben und auf eine gesunde Ernährungsweise achten. Getreu dem Motto: Mens sana in corpore sano!“
Simon nickte pflichtschuldig und verkniff sich ein boshaftes Grinsen. Wenn sein Boss wüsste! Wohlweislich hütete sich Simon seine ausgedehnten alkoholischen Exzesse publik werden zu lassen. Griesgruber schlug den salbungsvoll, affektierten Ton eines Kanzelpredigers an:
„Wissen Sie, eine gute Longfiller, eine dicke, runde Parejo gehört einfach dazu. Handverlesene Zigarren - totalmente a mano wie man in Kuba sagt - das nenn ich Lebensart! Denken Sie nur an
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