Cruzifixus
Churchill oder Castro.“
Wie ein Rüde das Hinterteil einer läufigen Hündin beschnüffelte er die fermentierten Tabakblätter, schnitt das Mundstück mit einem Silberscherchen an und entzündete die Zigarre, indem er ihr Fußende langsam über der Flamme drehte, bis sich ein kleiner Aschenring bildete. Mit gespitztem Mund blies er Luft durch die Zigarre, so dass die Spitze feuerrot aufglomm. Erst dann tat er den ersten Zug und grunzte genüsslich:
„Die meisten Menschen heutzutage wissen wahre Wertarbeit nicht mehr zu schätzen. Die paffen irgendwelche Stumpen. Wo bleibt da die individuelle Note, frage ich Sie? Ich bewahre meine Coronas nicht im Teakholzkistchen sondern im Humidor bei gleich bleibender Luftfeuchtigkeit auf.“
Simon hob die Brauen und spielte den baff Erstaunten:
„Ein Humidor – nie gehört!“
„Darin bleiben die Tabakblätter feucht und frisch. So kann man die Zigarren jahrelang aufbewahren, ohne dass sie ihren Geschmack verlieren. Wichtig ist auch der Cut. Eine Havanna wird gerade, eine Brasil schräg beschnitten – nur dann entfaltet sie ihr volles Aroma. Wissen Sie Sternsteiner, Geld allein macht aus einem Parvenü noch keinen Mann von Welt.“
Griesgruber stieß einen Rauchkringel aus und kam zum Ausgangspunkt ihres Gesprächs zurück:
„Was ich damit sagen will: ihre Hypothese gefällt mir. Sie trifft den Zeitgeist! Die Menschen brauchen mehr denn je Feindbilder, Sündenböcke, auf die sie ihre Probleme abwälzen können: muslimische Fundamentalisten, sektiererische Satanisten, Extremisten, Terroristen – wen auch immer!“
Simon rang sich ein dünnes, fragmentarisches Lächeln ab. Was zum Teufel wollte Griesgruber von ihm? Wieso schmierte er ihm Honig ums Maul? Weshalb kam er nicht wie gewöhnlich sofort auf den Punkt?
„Wir sind nah am Leser! Wir verfügen über die nötige regionale Kompetenz! Wir berichten exklusiv über den Mord. Wir machen Themenschwerpunkte zur Passionsgeschichte, zu den spektakulärsten Ritualmorden. Wir bieten unseren Lesern beides: Informationen und Emotionen!“
Hatte Griesgruber einmal einen Entschluss gefällt, duldete er keine „unkonstruktive“ Kritik, keinen Widerspruch mehr. Um sich nicht in die Nesseln zu setzen, blieb Simon nichts anderes übrig als zu allem Ja und Amen zu sagen:
„Zweifellos. Es geht darum, den Finger am Puls der Zeit zu halten. Es scheint mir ein typisches Symptom unserer exhibitionistischen Gesellschaft zu sein, Gewalt zu inszenieren und öffentlich vorzuführen. Jeder Halbirre hat heute den Ehrgeiz, eine symbolische Tat zu begehen und Rückbezüge auf eine tiefer liegende animalische, diabolische Ebene zu liefern. Das Modus Operandi lässt in diesem Fall jedoch auf einen kaltschnäuzigen Killer schließen. Die blutrünstige Tat erweckt Abscheu, ja Angst in uns. Doch was verspricht sich der Mörder davon?“
Griesgruber musterte ihn durch seine schmalrandigen Brillengläser. Sein Blick hatte alles Geringschätzige verloren, drückte im Gegenteil Anerkennung und Wohlwollen aus:
„Sie kennen die Thesen Marshall Mc Luhans. Das Medium ist die Botschaft! Der Täter will uns nicht nur Angst einjagen, er will mehr, er will eine chiffrierte Botschaft übermitteln.“
„Und das Kreuz ist der Schlüssel dazu.“
Ein feines Lächeln spielte auf den Lippen der beiden „Detektive“. Blitzlichtartig erkannte Simon, dass es hier um mehr als nur einen schlagzeilenträchtigen Artikel ging. Die Story war seine Chance, sich mit einem „Mordsbuch“ als Journalist und Literat zu etablieren. Eine Gelegenheit, die er am Schopf packen musste – mit oder ohne den „Merkur“. Er verbarg seine kühnen Gedankengänge hinter der ausdruckslosen Miene des ausgewiesenen Fachmanns:
„Die frühen Christen benutzten eine Vielzahl von Symbolen: den Palmzweig, das Lamm, das Christusmonogramm Chi Rho, das Tau Sigma oder den Fisch. Viele davon von bewusst doppelbödiger Ambiguität.“
Griesgruber schnippte die verbrannten Tabakkrümel in eine mit chinesischen Schriftzeichen bekleckste Porzellanschale:
„Sie meinen die
Weitere Kostenlose Bücher