Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
Vom Netzwerk:
goldbetressten Ärmel, die fein ziselierten Zierdegen der Obristen, die putzigen Goldkrönchen auf den Patronentaschen der Gemeinen. Der Hort musealen Heldentums bildete die Kulisse für das wöchentliche Kameradschaftstreffen der Himmelhamer Gebirgsschützenkompanie. Die schnauzbärtige Schar trug ihre traditionsträchtige Montur zur Schau: braunfleckige Krachlederne, bordeauxrote Uniformjoppe, weiß-blaue Seidenschärpe, moosgrüner Jägerhut mit schwarzem Federbusch. Der Kommandeur blickte auf seine Taschenuhr. Punkt Acht erhob sich der für seine Kampfeinsätze bei Schützen-, Trachten- und Starkbierfesten hoch dekorierte Trachten-Tribun, um mit mannhaften Worten die Wehrkraft der Virgilswinker Vigilanten zu stärken. Nach der dritten Maß fiel ihm sichtlich schwer Haltung anzunehmen. Der wackere Gebirgler stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab, sein grauhaariger Kommisskopf rollte unkontrolliert hin und her wie ein leckgeschlagener Kahn auf den Wellen eines sturmgepeitschten Sees. Endlich straffte er sich, kratzte sich eine schuppige Stelle am Kehlkopf und hub zu einer martialischen Ansprache an:
                „Männer! Ihr wisst - wir in halten die Fahne in Ehren. Wir sind das Bollwerk gegen die verkappten Bolschewiken! Wir sind das Schild und das Schwert des Bayernlands! Wir halten die Wacht in finstrer Nacht!“
                Mit argwöhnischen Blicken musterte er die Reihen seiner Männer, so als ob er unter ihnen einen abtrünnigen Apostaten vermutete:
    „Geliebtes Bayernland! Heil dir, im Siegeskranz! Auf dein Wohlergehen erheben wir unsere Krüge! Prost, Kameraden!“
     
                Das gläserne Geklirr der Maßkrüge, das Geschrei und Gegröle der Schützen wurde durch die dicken, mit Edelholzfurnier vertäfelten Wände gedämpft und drang als unverständliches Murmeln hinüber ins Hinterzimmer. Das Separee war das Refugium der Kartler, das Sanktuarium der Schafkopfer. Simon saß an einem der vier kreisrunden Biertische. Seine Augenlider zuckten nervös. Er bedachte die Ritter der Kartenrunde mit scheelen Blicken. Seine Pupillen huschten unstet hin und her, konnten aber nichts Ungewöhnliches, nichts Verdächtiges erspähen: Ewald, Sebald und Vinzenz saßen da wie in Blei gegossene Ölgötzen. Bohrende, undurchdringliche Blicke schienen aus den Spielkarten lesen zu wollen. Unter dem Axthieb von Ewalds nörgeligem Gebrumm zersplitterte die Eiskruste der starren, unbeweglichen Mienen:
                „Was ist jetzt? Spielst oder popelst in der Nasen?“
                Nun taute auch der Zweite im Bunde auf:
                „Wenn nix zusammen geht, werfen wir halt zusammen!“
                Schweigend sortierte, sondierte Simon seine Karten: Herz Unter, zwei Könige, zwei Zehner, zwei Luschen und die Eichel Sau. Simon schwante Schlimmes: sein Instinkt sagte ihm, dass der Hintermann irgendeine Schurkerei im Schilde führte, die Erfolgsaussichten eines Täuschungsmanövers durchexerzierte.
                Simon schielte zum Kruzifix im Herrgottswinkel hinüber. Das Haupt des Gekreuzigten ruhte schwer auf seiner eingefallenen, knochigen Brust, die langen Korkenzieherlocken hingen ihm wirr in die Stirn. Jener geschundene, gemarterte Mensch hatte nichts von einem Bezwinger des Bösen, einem Lamm von einem Löwen, der die Sünden der Welt hinweg nahm. Jesus sah aus wie ein armer Teufel aber gewiss nicht wie der Messias, der Gottessohn. In seinen Gesten und Gebärden deutete nichts daraufhin, dass er etwas vollbracht, dass er sein Ziel ereicht hatte. Nein, der Zeloten-Zocker hatte sich verspekuliert. Jesus hatte mit hohem Risiko Vabanque gespielt und mit dem Spiel um die Macht sein Leben verloren. Simon wandte den Blick vom Gekreuzigten, diesen von Leid, Schmerz und Enttäuschung gezeichneten Gaukler und Wundermann, der sein Blatt überreizt und sich verrechnet hatte. Simon suchte aus den Mienen seiner Mitspieler zu lesen. Er saß seit Jahren einmal die Woche mit ihnen drei, vier Stunden am Kartentisch und doch waren Sie im fremd, ja in gewissen Momenten unheimlich: Ewald und Sebald Inkofler waren Brüder, Zwillinge sogar, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten und dennoch in einer symbiotischen Gemeinschaft auf dem ererbten Hof zusammenlebten. Das funktionierte nur aufgrund einer klaren Rollenverteilung: Sebald spielte den stoischen, bedächtigen, umgänglichen Part. Von Natur aus rundlich und redselig, war

Weitere Kostenlose Bücher