Cruzifixus
einer Ostasien-Expedition mitgebracht. Die Erchtenhaller Stadtväter hatten dem unerschrockenen Forscher und Entdecker ein Denkmal setzen und die Bäumchen an der Esplanade anpflanzen lassen. Der alte Standesherr hatte kräftig Patina angesetzt, doch die einstigen Bonsai-Bäumchen waren in den letzten 110 Jahren mächtig in die Höhe geschossen. Vinzenz erwachte aus seiner Lethargie und bezichtigte seinen Kompagnon unverblümt der Feigheit vorm Feind:
„Wo warst du eigentlich, als uns dieser fettwanstige Saurus-Satrap von hinten angefallen hat, ha?“
Der verbissen geführte Nahkampf hatte sichtliche Spuren hinterlassen: das Gesicht war geschwollen, das linke Auge zierte ein himmelblaues Veilchen und die Oberlippe war verschorft. Kurzum: Vinzenz war reif für eine Behandlung beim Schönheitschirurgen oder eine Sitzung beim Visagisten. Simon mimte das Unschuldslamm, den fälschlicherweise Angeklagten:
„Wirklich! Ich wollte grad dazwischenfunken. Da kommt mir irgend so ein Volldepp in die Quere!“
Um die Situation detailgetreu zu schildern, bediente er sich der onomatopoetischen Ausdrucksweise eines Comic-Helden:
„Der Typ fällt über etwas drüber – Rums, Wusch, Bums. Und bis ich schau hat dich der Dickwanst schon am Wickel!“
Vinzenz putzte sich den malträtierten Zinken. Er klopfte seinen Kumpel auf die Schulter und schlug einen scherzhaft, konzilianten Ton an:
„Im Leben geht halt manches daneben! Homo proponit, Deus disponit!“
Simon senkte sein schuldbeladenes Haupt. Vinzenz schien es ihm nicht länger zu verübeln, dass er im Kampf Mann gegen Mann keine glückliche Figur abgegeben hatte. Ewald und Sebald hatten sich hingegen wacker geschlagen und im Eifer des Gefechts einiges abbekommen: Schürf- und Schnittwunden, dazu einige Blutergüsse. Deswegen hatten Sie sich entschlossen, den halb besinnungslosen, von einer Fraktur des Jochbeins schwer gezeichneten Saurus in die Notfallambulanz zu eskortieren. Vinzenz war im buchstäblichen Sinn mit einem blauen Auge davongekommen. Dennoch – Simon war auf der Hut. In den Adern des Cholerikers floss ein Strom glühend heißer Magma. Und so kam es bei ihm in regelmäßigen Abständen zu verheerenden vulkanischen Ausbrüchen. Die Gefahr einer Eruption schien allerdings vorerst gebannt. Vorsichtig wechselte Simon das Thema:
„Ich sag dir: das ist heute nicht mein Tag! Es ist wie verhext. Ich bin mittags hinauf zur Marter und hab den Tatort abgesucht.“
Vinzenz schien nicht gänzlich abgeneigt, sich Simons Sichtweise der Geschichte anzuhören:
„Und? Hast was entdeckt?“
Simon jammerte wie ein Großbauer über die Dumping-Preise der Supermarktketten für Milch, Käse und Butter:
„Nichts! Dabei möchte man doch meinen, dass sich irgendwo ein Anhaltspunkt finden müsste! Danach bin ich den Bericht der Tatortgruppe durchgegangen. Die Burschen von der Spurensicherung sind ja nie sonderlich auskunftsfreudig, aber das was da drinsteht ist dünn wie Wassersuppe!“
Sofort roch Vinzenz die Lunte:
„Das sind doch lauter Leimsieder! Diese angeblichen Experten, diese Wichtigtuer mit ihren DNA-Tests, mit ihren Kalibergrößen und Schmauchspuren! Wenn du einen Mordfall lösen willst, ist Kombinationsgabe, Systematik und Empathie gefragt!“
Sein ausgestreckter Zeigefinger stieß ihm vor die Brust:
„Hast du dich schon mal gefragt, wie ein Kriminalist an knifflige Fälle herangeht? Er zieht den Kreis der Verdächtigen immer enger. Und wie? Er erstellt ein Täterprofil und eine Motivmatrix. Freud lehrt uns, dass sich hinter dem Absurden, Irrwitzigen und Schockierenden etwas Rationales verbirgt. Also muss man methodisch und mit dem Instrumentarium einer progressiven Kriminalistik zu Werke gehen!“
Simon machte ein Gesicht, als ob er in eine faulige, matschige Treibhaustomate gebissen hatte. Vinzenz konnte leicht sein Froschmaul aufreißen und große Töne spucken. Er musste ja nicht jeden Morgen beim Chef zum Rapport antreten, um Schlagzeilen-Stoff abzuliefern.
Schweigsam trotteten Sie durch die verlassen daliegenden Strassen und Gassen.
Weitere Kostenlose Bücher