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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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sich wie ein Bratwürstchen auf dem Grillrost, fühlte sich wie ein Hummer im siedend heißen Wasser, fühlte sich wie ein Delinquent der über die Seufzerbrücke in die Bleikammern geführt wurde und inständig um Gnade vor Recht flehte:
                „Hier drin ist es ja nicht auszuhalten! Halt bitte irgendwo an!“
                Vroni setzte die Miene einer gestrengen Staatsanwältin auf:
                „Von wegen starkes Geschlecht! Nur Memmen!“
                Sie spitzte ihre kamelienrot lackierten Lippen:
                „Ist nicht! Wir sind eh schon spät dran!“
                Simon wischte sich den Schweiß von der Stirn:
                „Wieso schleichst du dann mit 100 dahin?“
                Ihre Antwort klang wie das Schnauben eines mit den Hufen scharrenden Kampfstiers:
                „Ich fahr eh schon am Anschlag! Mehr ist mit der Schrottmühle nicht drin! Von meinem Gehalt lässt sich kein Porsche finanzieren!“
                Womit hatte er diese Epistel, diese Gardinenpredigt verdient? Er spielte den Beleidigten, zog einen Flunsch:
                „Was kann ich dafür, wenn dich der alte Geizkragen so kurz hält? Schau dir diese aufgedonnerten Dorfdotschen an. Bilden sich ein, dass sie in den Medien Karriere machen und zum Nachrichtennymphchen oder zur Quizqueen aufsteigen. Dafür zwängen Sie sich in ultrakurze Lederröckchen und wackeln mit ihren Pferdearsch vor Griesgrubers Nase herum.“
                Vroni wölbte ihre buschigen Augenbrauen zum Ausdruck befremdeten Erstaunens:
                „Höre ich da einen misogynen Unterton, eine Tendenz zur Präpotenz? Wusste gar nicht, dass du bekennender Sexist bist.“
                Vronis unfehlbares Gespür für spöttische Spitzen verfehlte auch diesmal nicht ihr Ziel:
                „Deshalb schleppst du mich also in die Oper, verstehe! Du fühlst dich von den Frauen unterjocht und leidest unter latenten Minderwertigkeitskomplexen. Deshalb projizierst du deine infantil, virilen Allmachtsphantasien in die archetypische Figur des unwiderstehlichen Verführers, der Jede rumkriegt. Psychologen nennen das Eskapismus!“
                Simon stöhnte:
                „Frauen!“
                Die Launen, Grillen und Kapricen der holden Weiblichkeit waren unergründlich wie die Tiefen des Königssees, waren unberechenbar wie die Böen eines Föhnsturms. Man konnte nie sicher sein, was auf den Spielplan stand: Mimose oder Megäre, Fee oder Furie, Hexe oder Heilige? Kurzum: diese wankelmütigen, launenhaften Wesen würde er nie verstehen! Simon gedachte der Worte Wittgensteins: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Und wer recht hatte, zahlte eine Maß – selbst wenn er eine Leuchte der Philosophie war und Wittgenstein hieß.
     
    Ein Gewitter lag in der Luft. Schwer beladene Wolkenschiffchen steuerten die Felsenkais und Piers an. Mit geblähten Segeln nahm die wattebauschige Armada Kurs auf die aus mächtigen Kalkquadern aufgetürmten Molen. Das von Spalten und Schründen zerfurchte Antlitz der Bergriesen schien von innen heraus zu glühen. Die Felsflächen changierten in allen nur erdenklichen Farbtönen der Prismenpalette. Ein irisierend, irritierendes Licht, dass die klar umrissenen Grenzen zwischen Hell und Dunkel verwischte. Das Unergründliche, Unbegreifliche zog die Menschen von jeher in einen magischen Bann. Seit Urzeiten gründete das Religiöse im Luminösen, im Nimbus des Numinosen. Simon blinzelte in die mit der Gewalt eines Gezeitenstroms von den Bergen herabströmende Lichtflut. Seine Lider flatterten wie Kolibriflügel. Ein Kaleidoskop-Effekt narrte seine Netzhaut, gaukelte ihm vor, dass das Licht wie Konfetti auf ihn herabregnete und in sein Gehirn sickerte. Die hypnotisierende Wirkung der Hitze tat ein Übriges, um ihn schläfrig werden zu lassen, ihn in einen wachtraumartigen Zustand zu versetzen. Es surrte und summte in seinem Kopf, als ob sich unter seiner Schädeldecke ein Bienenschwarm eingenistet hatte. Unter das Surren und Brummen schob sich eine hohl klingende, geisterhafte Stimme:
                „Die Berge gelten allen, alten Kulturen als Sitz der Götter! Und warum? Weil Sie das Sonnenlicht empfangen und reflektieren!“
                Er erkannte die Stimme wieder. Das rauchige Timbre war unverkennbar.

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