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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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leisen Sohlen stahl sich Simon ins Kircheninnere und schaffte es unbemerkt in einen der im Seitenschiff aufgestellten Beichtstühle zu gelangen. Er schob den zerschlissenen, vom Staub des Vergessens und Vergebens grau gewordenen Stoffvorhang zur Seite und spähte ins Halbdunkel: die Burgltante kniete in einer der vorderen Kirchenbänke. Vinzenz wiegte eine dickbäuchige Votivkerze wie einen Täufling im Arm. Ihre krächzende Krähenstimme hallte von den kahlen Wänden:
                „Stell die Kerzen auf den Ständer – und zünd Sie an!“
                Vinzenz tat wie ihm geheißen. Zischend fing der Docht Feuer. Ein Windzug ließ die blakende Kerze flackern. Unheimliche Schatten tanzten wie Motten ums Licht der Flamme. Die Alte lies den Rosenkranz durch ihre gichtkrummen Finger gleiten:
                „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes….“
                Vinzenzens Bass mengte sich in ihr dürres, brüchiges Alt:
                „Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum benedicta tu in mulieribus et beneditcus fructus ventris…“
                Simon hatte genug gesehen, hatte genug gehört. Ein dumpfes, beengendes Gefühl schnürte ihm die Brust.

Die Bilder der Sterne
    Felix qui potuit rerum cognoscere causas! Wer die Ursache aller Dinge erkennt, kann sich glücklich schätzen.
     
    Simon schwitzte wie ein Schwein in Mekka und roch wie ein in Panik geratener Iltis. Sein Deo versagte kläglich. Unter seinen Achseln bildeten sich CD-große Schweißflecken. Simon fühlte sich wie ein Spanferkel im Bratrohr. In der Karre herrschten Temperaturen wie in einer Finnensauna. Vronis museumsreifer Benz war völlig marode: der Dino-Diesel pfiff auf dem letzten Ventil, die Rostlaube wurde nur noch vom eisernen Überlebenswillen einiger Stahlträger zusammengehalten. Das schlimmste an der Sache war jedoch, dass der Heizluftregler defekt war und das Gebläse unablässig glutheiße, mit Stickoxiden und anderen Autoabgasen angereicherte Abluft ins Innere wirbelte. Simon jappte nach Frischluft, drehte hektisch an der Kurbel des Seitenfensters. Vergebens! Vroni konstatierte lakonisch:
                „Spar dir die Mühe! Der Mechaniker meint, dass das Gestänge abgebrochen ist!“
                Simon stöhnte:
                „Wie hältst du das hier drin eigentlich aus?“
                Seine düstersten Vorahnungen wurden bestätigt:
                „Hab dich nicht so! Du bist doch ein alter Wüstenfuchs, oder? Wer war denn letztes Jahr am Berg Sinai?“
                Simon schielte auf den Tacho: Schlappe 100! Bei dem Schneckentempo würden Sie glatt eine Stunde bis Salzburg brauchen. Bis dahin war er gar, war er ein Backhendl! So hatte er sich den Auftakt zur Opernpremiere nicht vorgestellt. Dabei stand sein „Favorit“ auf dem Festspiel-Programm: Il dissoluto punito ossia Don Giovanni! Simon bewunderte, verehrte, vergötterte Mozart! Sein tonschöpferisches Genie überstrahlte alles – Bach, Beethoven, Boulez! Obwohl seine Melodien tausendfach verkitscht, parodiert und verstümmelt wurden, Mozart als anarchischer Perücken-Punk, als rebellischer Rokoko-Rocker, als umtriebiger Figaro-Filou inszeniert, karikiert und persifliert wurde. Mozart war und blieb ungreifbar, unerreichbar: er war ein Chamäleon, ein Meister der Verstellung, ein Choreograph des mehrdeutigen Rollenspiels. Ein rastloser, manisch depressiver Geist, ein Spieler, der sich nicht in die Karten schauen ließ. Don Giovanni war ein Wunderwerk, war die Quart- und Quintessenz von Mozarts Musik. Wer war dieser Don Giovanni? Ein Wüstling, ein Wüterich, ein Prahlhans? Darüber stritten sich Exegeten, Interpreten und Propheten des Maestros. War er der Inbegriff des verführerischen Frauenhelden, des lasziven Latin Lovers, des unwiderstehlichen Bolerobeaus? War er ein aufgeblasener Blaublütler, ein dekadenter Lüstling, ein liederlicher Schürzenjäger, der von der Geschichte bestraft und von den Jakobinern und Revolutionären zur Hölle geschickt wurde – oder war er in nuce ein armer Teufel?
     
    Die Hitze im Wageninnern war schier unerträglich. Sein Blut kochte, sein Herz hämmerte wie wild gegen die Brust. Die stickige, nach verschmorten Gummiteilen riechende Abluft raubte ihm dem Atem. Simon litt Höllenqualen. Er fühlte

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