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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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ich Curry den Artikel mailte, gefiel er mir überhaupt nicht mehr. Dass die Polizei annahm, es handle sich um einen Serienmörder, war ziemlich weit hergeholt. Vickery hatte nichts dergleichen behauptet. Das erste Zitat von Jeannie Keene hatte ich aus der Trauerrede geklaut, das zweite aus den giftigen Schmähungen, mit denen sie mich bedacht hatte, als sie merkte, dass meine telefonische Beileidsbekundung nur ein Vorwand war. Sie wusste, dass ich die Ermordung ihrer Tochter sezieren und vor aller Augen ausbreiten wollte. »Wir wollen nur unsere Ruhe!«, hatte sie geschrien. »Wir haben heute unsere Kleine begraben. Sie sollten sich schämen.« Dennoch, Zitat blieb Zitat, und genau das brauchte ich, da von Vickery nichts zu erwarten war.
    Curry sagte, die Story sei solide – nicht toll, aber ein solider Anfang. Er ließ sogar den abgelutschten Ausdruck vom »Serienmörder, der es auf Kinder abgesehen hat« stehen. Ich weiß, den hätte man streichen müssen, aber ich brauchte den dramatischen Schnörkel. Er muss betrunken gewesen sein, als er ihn las.
    Curry verlangte ein längeres Feature über die Familien, sobald ich die Informationen zusammenkratzen konnte. Noch eine Chance, um mich zu beweisen. Ich hatte Glück – es sah aus, als würde die
Chicago Daily Post
Wind Gap noch ein bisschen für sich allein behalten. Gerade entfaltete sich genüsslich ein saftiger Sexskandal im Kongress, der gleich drei ach so keusche Mitglieder, zwei davon Frauen, ruinieren würde. Eine grelle Geschichte, die eine Menge hergab. Zudem trieb sich in Seattle, einer weitaus attraktiveren Stadt, ein Serienmörder herum. Inmitten von Nebel und schicken Kaffeehäusern zerschnitt er schwangere Frauen, öffnete ihren Bauch und ordnete den Inhalt in schockierenden Mustern an. Unser Glück, dass alle Reporter, die solche Themen bearbeiteten, dorthin fuhren. Ich hatte Wind Gap ganz für mich allein, doch lag ich elend in meinem Bett aus Kinderzeiten.
     
    Am Mittwoch schlief ich lange, die verschwitzten Laken und Decken über den Kopf gezogen. Wachte mehrmals auf, weil ein Telefon klingelte, das Mädchen vor der Tür staubsaugte, ein Rasenmäher dröhnte. Ich wollte unbedingt weiterschlafen, aber der Tag hüpfte dahin. Also hielt ich die Augen fest geschlossen und träumte mich zurück nach Chicago, in mein schmales, klappriges Bett, in die Wohnung, von der aus ich auf die Ziegelmauer eines Supermarktes blickte. Als ich vor vier Jahren dort eingezogen war, hatte ich in diesem Supermarkt einen Kleiderschrank aus Pappe gekauft und den Plastiktisch, an dem ich von leichtgewichtigen gelben Plastiktellern mit Besteck aß, das sich wie Blech verbiegen ließ.
    Ich versuchte, mir andere Bilder aus Chicago vorzustellen: den Hausverwalter, der immer noch nicht meinen Namen wusste; die dumpfgrüne Weihnachtsbeleuchtung, die immer noch am Supermarkt hing. Ein paar nette Bekannte, die immer noch nicht gemerkt hatten, dass ich verreist war.
    Ich hasste es, in Wind Gap zu sein, doch Chicago bot auch keinen Trost.
    Ich zog eine warme Wodkaflasche aus meinem Matchsack und legte mich wieder ins Bett. Nippend schaute ich mich um. Ich hatte damit gerechnet, dass meine Mutter das Zimmer tapezieren lassen würde, sobald ich ausgezogen war, doch es sah noch genauso aus wie vor zehn Jahren. Schade, dass ich ein so ernster Teenager gewesen war: Es gab keine Poster von Popstars oder Lieblingsfilmen, keine mädchenhafte Sammlung von Fotos oder Ansteckbuketts. Stattdessen Gemälde mit Segelbooten, pastellfarbene Idyllen, ein Porträt von Eleanor Roosevelt. Vor allem Letzteres war eigenartig, da ich kaum etwas über sie wusste, nur dass sie ein guter Mensch gewesen war, und das hatte mir damals gereicht. Heutzutage würde ich einen Schnappschuss von »Duchess«, der Ehefrau von Warren Harding, bevorzugen, die jede Kränkung in -einem kleinen roten Notizbuch verzeichnet und sich später dafür gerächt hatte. Heutzutage sind mir First Ladys mit Biss einfach lieber.
    Ich trank weiter Wodka. Wollte wieder bewusstlos sein, eingehüllt in Schwärze, weg. Alles tat weh. Ich fühlte mich aufgeschwemmt vor lauter Tränen, ein Ballon voll Wasser, der jeden Augenblick platzen konnte. Sehnte mich nach einem Nadelstich. Wind Gap tat mir nicht gut. Dieses Zuhause tat mir nicht gut.
    Ein leises Klopfen an der Tür, kaum mehr als das Klappern des Windes.
    »Ja?« Ich stellte das Wodkaglas neben das Bett.
    »Camille? Ich bin’s, deine Mutter.«
    »Ja?«
    »Ich habe dir eine Lotion

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