Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
behandelt worden war. Von Richard, von den Jungen, die mich entjungfert hatten, von allen. Ich gab immer zuerst mir die Schuld. Mir gefiel die alttestamentarische Bosheit des Ausdrucks:
Sie hat nur das bekommen, was sie verdient hat.
Bei manchen Frauen ist das eben so.
Dann zerbrach die Stille. Der gelbe Chevrolet Camaro hielt knatternd neben mir, Amma und Kylie auf dem Beifahrersitz. Am Steuer ein Junge mit strähnigem Haar, billiger Sonnenbrille und fleckigem Unterhemd; dahinter sein magerer Doppelgänger. Rauch quoll aus dem Wagen, dazu der Geruch von Schnaps mit Zitrusaroma.
»Steig ein, wir feiern ein bisschen«, sagte Amma. Sie bot mir eine Flasche billigen Orangenwodka an. Dann streckte sie die Zunge hervor und fing einen Regentropfen auf. Ihre Haare und ihr Tantop troffen bereits.
»Danke, nein.«
»Du siehst nicht gut aus. Komm, die kontrollieren hier in der Gegend. Du stinkst bis hier, das kann böse enden.«
»Na los, Chiquita«, rief Kylie, »Sie können uns helfen, die Jungs in Schach zu halten.«
Ich dachte kurz über die Alternativen nach: Zu Hause alleine trinken. In eine Kneipe gehen, mit irgendwelchen Männern trinken. Mit den Kids losziehen, vielleicht ein bisschen interessanten Klatsch aufschnappen. Nur eine Stunde. Dann den Rausch ausschlafen. Hinzu kam Ammas unergründliche Freundlichkeit. So ungern ich es mir eingestand, aber allmählich faszinierte mich dieses Mädchen.
Sie johlten, als ich hinten einstieg. Amma ließ eine andere Flasche kreisen, warmer Rum, der wie Sonnenmilch schmeckte. Ich fürchtete schon, sie würden verlangen, ich solle Alkohol kaufen. Natürlich hätte ich das getan, aber ich wünschte mir, dass sie mich einfach so dabei haben wollten. Wie erbärmlich. Ich wollte wieder beliebt sein. Kein Freak mehr. Von den coolsten Mädchen der Schule akzeptiert werden. Der Gedanke reichte beinahe, um mich aus dem Wagen zu treiben. Doch dann gab Amma die Flasche erneut herum.
Der Junge neben mir wurde als Nolan vorgestellt. Er nickte und wischte sich den Schweiß von der Oberlippe. Magere Arme voller Schorf, Akne im Gesicht. Missouri hat die zweithöchste Drogenrate der USA . Wir langweilen uns hier unten, und auf den Farmen gibt es eine Menge Chemikalien. Als ich jung war, nahmen nur die Hartgesottenen solches Zeug. Inzwischen machte das Zeug auch schon auf Partys die Runde. Nolan fuhr mit dem Finger über den Vinylbezug des Fahrersitzes, blickte aber lange genug hoch, um zu sagen: »Sie sind so alt wie meine Mom. Das gefällt mir.«
»Ich möchte bezweifeln, dass ich so alt wie deine Mutter bin.«
»Sie ist dreiunddreißig, vierunddreißig.« Nur knapp daneben.
»Wie heißt sie?«
»Casey Rayburn.« Ich kannte sie. Bisschen älter als ich. Arbeiterfamilie. Zu viel Gel in den Haaren und eine Schwäche für die mexikanischen Hühnerschlachter an der Grenze zu Arkansas. In einem Sommerlager der Kirche hatte sie mal den anderen erzählt, sie habe einen Selbstmordversuch hinter sich. Von da an nannten die Mädchen sie nur noch Casey Klinge.
»Muss vor meiner Zeit gewesen sein.«
»Mensch, die Kleine war zu cool, um mit deiner zugedröhnten Hurenmama rumzuhängen«, sagte der Fahrer.
»Fick dich«, flüsterte Nolan.
»Sieh mal, was wir haben, Camille.« Amma beugte sich zu mir und stieß Kylie den Hintern ins Gesicht. Sie klapperte mit einem Pillendöschen. »OxyContin. Bringt dich echt in Schwung.« Sie streckte die Zunge heraus, platzierte drei Pillen wie weiße Knöpfchen darauf, schluckte und spülte mit Wodka nach. »Versuch’s mal.«
»Nein, danke.« OxyContin ist gut. Aber nicht, wenn man es mit seiner kleinen Schwester einwirft.
»Ach los, Mille, komm schon«, flehte sie, »dann fühlst du dich viel leichter. Ich bin jetzt richtig glücklich. Das sollst du auch sein.«
»Mir geht’s prima, Amma.« Als sie mich Mille nannte, musste ich an Marian denken. »Ganz ehrlich.«
Sie drehte sich seufzend nach vorn, blickte hoffnungslos bekümmert.
»Komm, Amma, so wichtig ist es nun auch wieder nicht.« Ich berührte sie an der Schulter.
»Doch.« Ich merkte, wie ich den Boden unter den Füßen verlor, spürte wieder den alten gefährlichen Drang, anderen zu gefallen. Eine Pille würde mich nicht umbringen.
»Na gut, dann gib mir eine. Aber nur eine.«
Sie drehte sich schwungvoll um, ein Leuchten ging über ihr Gesicht.
»Streck die Zunge raus. Wie bei der Kommunion. Drogenkommunion.«
Ich gehorchte, und sie platzierte die Pille quiekend auf meiner
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