Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
zog seine Jacke aus und warf sie auf den Rücksitz. »Dabei haben wir noch nicht mal die nächsten Angehörigen verständigt.«
»Ich schätze, das übernehmen die Leute vom Sheriff. Es gibt wohl eine Nichte in Cambrai.«
»Hoffentlich hat sie es nicht auch bereits aus den Nachrichten erfahren.«
»Hoffentlich.« Bentz ließ den Motor an.
»Der Sheriff wird toben.«
»Und nicht nur der.«
Bentz legte den Rückwärtsgang ein und wollte gerade anfahren, als Montoya sagte: »Warte mal. Da scheint was passiert zu sein.«
Bentz trat auf die Bremse. Schwester Odine, den weiten Rock ihrer Ordenstracht gerafft, kam beinahe rennend auf den Streifenwagen zu. Einige Polizisten, die bei der Tür standen, folgten ihr, und ein Kameramann drehte sich um und filmte die Szene.
»Detective!«, rief die Nonne, heftig winkend, die Wangen gerötet. »Warten Sie bitte!«
Bentz kurbelte das Fenster hinunter. »Ich bin so froh, dass ich Sie noch erwischt habe«, sagte sie schwer atmend, sobald sie nahe genug herangekommen war. Aus den Augenwinkeln sah Bentz das Kamerateam herbeieilen.
»Halten Sie uns die vom Hals«, wies er einen der Deputys an, die Schwester Odine zum Wagen gefolgt waren. Mit einem Nicken drehte der Polizist sich zu den Kameraleuten um und drängte sie zurück.
Schwester Odine erklärte hastig: »Ich habe gerade einen Anruf von Schwester Jeannette, der Mutter Oberin von All Saints, erhalten.« Bentz versteifte sich, als er den Namen des Colleges hörte, das Kristi besucht hatte und wo sie unaussprechliches Grauen erlebt hatte. »Sie hat mich gefragt, ob ich etwas von Schwester Vivian gehört hätte …«, fuhr die Nonne fort. »Vivian Harmon, die ihrem Orden angehört.«
»Was ist mit ihr?«
»Sie ist verschwunden.«
»Seit wann?«, fragte Bentz.
»Das hat die Ehrwürdige Mutter nicht gesagt, aber …« Schwester Odine rang nach Luft. »Ihr Zimmer ist leer, und im Garten haben sie einen Rosenkranz und ein Gebetbuch gefunden. Beides gehört Schwester Viv; die Ehrwürdige Mutter konnte es identifizieren.«
Bentz’ Magen krampfte sich zusammen. »Hat die Ehrwürdige Mutter die Polizei informiert?«
»Noch nicht. Sie haben das Gelände abgesucht, und als sie Schwester Vivian nicht fanden, dachten sie, dass sie vielleicht jemanden besuchen wollte und vergessen hätte, sich abzumelden. Aber das sähe ihr so gar nicht ähnlich.« Schwester Odine schien den Tränen nahe. »Jemand vom College hat einer der Nonnen erzählt, was hier geschehen ist, die Sache mit Schwester Rebecca …« Nun wurden ihre Augen tatsächlich feucht. »Wie auch immer … Jetzt fürchtet die Ehrwürdige Mutter, dass auch Schwester Vivian etwas … etwas zugestoßen sein könnte.«
Bentz hätte sie gern beruhigt und ihr versichert, Schwester Vivian werde bestimmt bald wohlbehalten wieder auftauchen, doch er befürchtete das Gegenteil. »Die Mutter Oberin sollte umgehend die Polizei benachrichtigen. Und sagen Sie ihr, dass die Detectives Montoya und Bentz in ein paar Stunden kommen, um mit ihr zu reden. Zunächst einmal informieren wir die Kollegen in Baton Rouge.«
»Danke«, sagte die Nonne inbrünstig und bekreuzigte sich. »Gott segne Sie, Detectives.« Damit machte sie kehrt und eilte zum Gebäude zurück.
Bentz wendete den Wagen und fuhr die Zufahrt hinunter, an der inzwischen zahlreiche Streifenwagen, Kleinbusse und Pick-ups zwischen den Immergrünen Eichen und üppigen Magnolien standen.
»Hey«, sagte Montoya, während sie langsam durch die offenbar immer dichter werdende Menge fuhren. »Ist das da nicht deine Kleine?« Er zeigte durchs Fenster auf das schlanke Mädchen mit der Florida-Marlins-Baseballkappe, das sich gleich darauf abwandte und mit einem der Umstehenden sprach.
Bentz presste die Lippen zusammen. Ihre Beziehung war von jeher kompliziert gewesen, und die Lügen, die er ihr während ihrer Kindheit hatte erzählen müssen, hatten die Sache sicher nicht einfacher gemacht. Es musste schwer für sie gewesen sein, als sie schließlich die Wahrheit erfuhr: Bentz war nicht ihr leiblicher Vater. Tja, das war ein schöner Schlamassel gewesen. Dennoch hatte er stets unerschütterlich zu ihr gehalten, besonders nach Jennifers Tod und dann während der harten Jahre der Pubertät.
Sie hatte es nie leicht gehabt, doch das rechtfertigte nicht, dass sie sich mutwillig in Gefahr begab. Schließlich liebte Bentz sie, als sei sie seine leibliche Tochter.
»Was will sie hier?«, fragte Montoya mit finsterer Miene und
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