Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
setzte Montoya die Sonnenbrille wieder auf und sagte: »Das vereinfacht die Sache. Ihre Fingerabdrücke liegen uns ja bereits vor.«
Cole überging die Bemerkung. Bentz verschloss Faith Chastains Akte im Streifenwagen und holte eine Taschenlampe.
»Wie haben Sie sie überhaupt gefunden? Wo befand sie sich?«, fragte er, während sie das Grundstück betraten.
Eve zeigte auf das Klinikgebäude. »Auf dem Dachboden.«
Montoya stutzte. »Auf dem Dachboden?«
»Über der zweiten Etage befindet sich ein kleiner Bodenraum. Als Kind habe ich dort gespielt. Gestern zog es mich irgendwie dorthin. Ich hatte das Bedürfnis, mich dort noch einmal umzusehen – wahrscheinlich wegen der Vermutung, dass Faith Chastain meine Mutter sein könnte.«
Bentz zog das Tor hinter ihnen zu und schloss es ab. »Achten Sie darauf, dass niemand das Gelände betritt«, sagte er zu dem Deputy, dann ging er mit Montoya, Eve und Cole auf das Gebäude zu. Es war später Vormittag, fast schon Mittag, und die Sonne schien sengend heiß. Trotzdem fror Eve innerlich bei dem Gedanken an das, was sie in dem alten Gebäude finden würden, das ursprünglich ein Waisenhaus, später dann ein richtiges Krankenhaus und schließlich eine psychiatrische Anstalt gewesen war. Grundstück und Gebäude hatten seit jeher der Erzdiözese gehört. Jetzt sollte das verfallene Krankenhaus abgerissen werden.
Und das ist gut so, dachte sie, während sie die rissige Betonzufahrt entlanggingen, vorbei an einem wild wuchernden, verkommenen Rasenstück. Die Zufahrt verlief im Bogen um einen einstmals prächtigen Brunnen direkt vor dem Eingangsportal. Als Kind war Eve fasziniert gewesen von den drei geflügelten Engeln, die Wasser himmelwärts sprühten. Jetzt war der Brunnen versiegt, die Engelsfiguren angeschlagen und fleckig.
»Wie sind Sie denn hineingekommen?«, wollte Bentz wissen, als sie um das Gebäude herumgingen. Auf dem Boden waren noch ihre Fußabdrücke sichtbar, doch als sie um die hintere Hausecke bogen, sah Eve, dass die Feuerleiter, die am Vortag herabgelassen war, jetzt in unerreichbarer Höhe hing, eingezogen bis an den Absatz im ersten Stock.
»Das war gestern noch anders«, stellte Eve überrascht fest und schilderte, wie sie sich über die Leiter und durch ein halb geöffnetes Fenster Zutritt zum Gebäude verschafft hatte.
»Die Leiter war unten. Ich habe sie ebenfalls benutzt«, bestätigte Cole und sah hinauf zu dem Fenster. »Auch das Fenster ist jetzt geschlossen. Wir haben es offen gelassen.«
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher.« Eve legte schützend eine Hand über die Augen und blickte an der roten Backsteinmauer empor. »Gestern, als ich auf dem Dachboden durch ein Loch im Fußboden sah, habe ich in Faith Chastains Zimmer einen Schatten gesehen, den ich mir nicht erklären konnte.«
Montoya rieb sich den Nacken. »Was für ein Loch? Und … ein Schatten? Ich verstehe nicht.«
»Sie werden gleich verstehen«, sagte Cole. »Gehen wir hinein.«
Sie umrundeten das Gebäude, fanden jedoch kein offenes Fenster. Vor den Marmorstufen an der Vorderseite blieben sie stehen, während Bentz den Schlüssel zum Haupteingang heraussuchte.
Er schaltete die Taschenlampe ein, und Montoya und Eve folgten seinem Beispiel. Eve beschlich ein starkes Unbehagen, als sie erneut in das düstere Innere der leerstehenden Anstalt trat. Ihre Kopfhaut begann zu prickeln, und trotz der Hitze bekam sie eine Gänsehaut. Auch die Polizisten wurden ernst und still.
»Ihr Vater hat hier gearbeitet«, bemerkte Bentz, der mit seiner Taschenlampe den Eingangsbereich ausleuchtete. »Wo war sein Büro?«
Sie wies in die entsprechende Richtung. »Aber es ist leergeräumt. Ich habe gestern nachgesehen.«
»Zeigen Sie es uns trotzdem.«
Eve führte die Detectives in den kleinen Raum, den ihr Vater benutzt hatte. »Sein Büro hatte die Nummer eins?«, stellte Bentz fest.
»Ja, die war wohl für den Chefpsychiater reserviert.«
Sie zeigte ihnen die übrigen Räume. Ein Untersuchungszimmer, eines für die Buchhaltung, ein anderes für die Geistlichkeit und die größeren Bereiche für die Krankenschwestern und die Hauswirtschafterinnen.
»Was ist mit dem Keller?«
»Dort befinden sich unterschiedliche Behandlungszimmer.«
»Für welche Art von Behandlungen?«
»Es gibt Operationssäle und Gummizellen und Räume, in denen Elektroschocks verabreicht wurden.« Sie sah die Frage in Bentz’ Augen. »Einige Behandlungsmethoden erscheinen uns heute barbarisch und
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