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Cry - Meine Rache Ist Dein Tod

Cry - Meine Rache Ist Dein Tod

Titel: Cry - Meine Rache Ist Dein Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
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Bett. Er hatte so viel zu tun. Und so wenig Zeit. Innerlich zitterte er, und Gedanken an Eve strömten auf ihn ein.
    Immer nur Eve.
    Er fand auch andere Frauen attraktiv, aber keine von ihnen war Eve.
    Eve, die Schöne.
    Eve, die Prinzessin.
    Eve, die Geliebte.
    Es war Zeit für die ultimative Absolution.
    Es war Zeit, dass er und Eve sich endlich begegneten.
    Kein Vorgeplänkel mehr. Keine Spielchen. Keine Puppen. Und kein Warten mehr. Alles war bereit. Endlich, endlich wurde sie die Seine. Bis in den Tod.
    Ihr gemeinsames Schicksal.
    Wie es von Anfang an vorbestimmt war.
    DIE LIEBE TOTE  – BEILEID .
    REUE  – FEGEFEUER .
    Hatte Mutter das nicht immer gesagt? Hatte sie nicht ständig in Palindromen geredet? Hatte sie ihn nicht gelehrt, dass das Palindrom eine geheime Form der Kommunikation sei?
    Er lauschte auf die Geräusche der Nacht vor seinem Fenster. Der warme Hauch des Frühlings wehte durch die schmale Ritze zwischen Scheibe und Rahmen.
    Er stellte sich die Überraschung vor, die er bald auf ihrem Gesicht sehen würde. Er hatte die freudige Erwartung so lange wie möglich ausgedehnt, und jetzt, o Gott, jetzt war es Zeit. Seine Lippen waren trocken vor Vorfreude; er befeuchtete sie mit der Zunge und stellte sich vor, was er mit ihr tun würde. Endlich.
    »Sie ist die Prinzessin, weißt du?«, hatte seine Mutter immer gesagt, hatte ihm vor Augen geführt, wie unvollkommen er selbst war, ihm kleine Einzelheiten aus Eves perfektem Leben verraten, während sie an der Nähmaschine saß, mit den Zähnen einen Faden abbiss oder feine Stoffe mit ihrer Zackenschere zuschnitt. Auch die hatte Zähne. Viele stählerne Zähne.
    »O ja, diese Eve!« Die Mutter schnalzte mit der Zunge. »Sie bekommt immer nur vom Feinsten, weißt du, ihr hat es nie an etwas gefehlt. Schließlich ist ihr Vater Arzt, und überhaupt.« Dabei sah seine Mutter ihn über die Lesebrille hinweg vielsagend an. Sie saß auf dem Hocker vor der Nähmaschine. Leuchtend bunte Stoffbahnen wallten bis auf den Boden hinunter. »Schickes Haus, schicke Autos, Rüschenkleidchen, die kleine Prinzessin. Und hübsch ist sie außerdem – oh, sehr hübsch sogar. Ihre Mutter liebt sie, ihr Vater betet sie an, und diese Großmutter verwöhnt sie auch noch! Für die kleine Eve ist nichts gut genug!«
    Er hatte versucht, seine Ohren ihrem Gift zu verschließen, doch seine Mutter, die arme, schwer arbeitende Schneiderin mit ihren arthritischen Knöcheln und dem stetig wachsenden Neid ließ ihn nie vergessen. Immer wieder brachte sie die Sprache auf Eve. Besonders bei Nacht, wenn das ganze Haus schlief, sein Vater friedlich in dem Zimmer am anderen Ende des Flurs schnarchte und seine jüngeren Geschwister längst in ihren Etagenbetten träumten.
    Dann kam sie zu ihm. In den frühen Morgenstunden schlich sie über den Flur, kam barfuß in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab. Sie roch nach Gin und Zigaretten und kranker Verzweiflung. Sie kam immer nur, um ihn »zuzudecken« oder um ihm »einen Gutenachtkuss zu geben«.
    Doch die sanfte Berührung ihrer Lippen an seiner Wange war alles andere als keusch gewesen, ebenso wie sie, wenn sie ihn mit ihren sanften Händen zudeckte, dabei seinen Körper erkundete. »Du bist ein braver Junge, so ein lieber, braver Junge«, gurrte sie dann, als sei er ein Hund, der gerade ein schwieriges Kunststück gemeistert hatte. »So viel besser als die unartige kleine Eve. Sie ist eine Hure, weißt du, in ihren Designerkleidern und der teuren Wäsche. Ganz gleich, wie kostbar diese Wäsche ist, es bleibt dabei: Eve lässt jeden ran. Sie ist ein schmutziges kleines Mädchen, glaub mir. Die legt sich für jeden hin und macht die Beine breit.«
    Dann lag er wie erstarrt auf seiner Matratze, rührte sich nicht, schwitzte und kämpfte gegen die Übelkeit. Stumm betete er zu Gott, sie möchte aufhören, sie sollte nicht seine Tränen ablecken und sagen, alles sei gut, und sie sollte nicht unter die Bettdecke schlüpfen und ihren nackten, knochigen Körper an seinen drängen. Sie behauptete, es sei nur natürlich, dass Mutter und Sohn einander ihre Zuneigung zeigten.
    Doch er wusste es besser.
    Damals schon.
    Während dieser schrecklichen, erniedrigenden Nächte beschwor er Eves Bild herauf. Nahm sie, nicht seine Mutter, in sein Bett. Eve, die Prinzessin, Eve, die Schöne, Eve, die Geliebte …
    Er versuchte, das, was mit ihm geschah, nicht in sein Bewusstsein dringen zu lassen, versuchte, sich an einen fernen Ort zu versetzen,

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