Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
dahinter, von dem Teleschew geschrieben hat, dachte er. Die aufflammende Hoffnung ließ ihn kurz erstarren, dann wischte er die Scheiben ab. Ein Mann und eine Frau. Beide unverwest, auch wenn ihre Gesichter wegen der Beatmungsgeräte kaum zu erkennen waren. Auf ihren Stirnen schimmerte eine einen Zentimeter breite Schicht des Reaktanten wie gefrorener Glimmer. Artur beugte sich über das Pult, aber kein Instrument gab noch irgendein Signal von sich. Der einzige Beweis dafür, dass die Kapseln funktionierten, war dieses fahle Licht.
Ich habe keine andere Wahl, redete sich Kowal zu – und betätigte zwei Schalter zum Öffnen. Sofort leuchtete im Inneren der Kapseln Licht auf. Über die Scheiben liefen grüne Zahlen im Countdown. Genau wie damals bei ihm, vor nunmehr drei Jahren. Das Reanimationsprogramm hatte gestartet.
»Das dauert jetzt drei Stunden«, rief Artur hoch zu Andrej, während er es sich auf dem Rucksack bequem machte. »Hau dich also ruhig noch aufs Ohr.«
Durch das Loch in der Decke fiel trübes Mondlicht, und Laska schob den Kopf hindurch, um nach ihrem neuen Herrn Ausschau zu halten.
»Hier kann ich ganz bestimmt nicht schlafen, dazu ist es viel zu kalt!« Andrej klapperte mit den Zähnen. Er schürte in einem fort das Feuer, japste dann aber stets im Rauch nach Luft. »Bist du in die Hauptstadt gekommen, um diese mächtigen Zauberer wiederzubeleben, Herr?«
Artur ließ sich so viel Zeit mit seiner Antwort, dass Andrej schon meinte, der Mann sei eingeschlafen.
»Nein, ich bin nicht nur ihretwegen hier«, drang irgendwann aber doch die Stimme dieses Fremden hoch zu Andrej. »Meine Freunde, die weit weg von hier leben, haben mich gebeten herauszufinden, wie die Dinge bei euch in Moskau stehen …« Der Zauberer seufzte. »Sie glauben, in Moskau herrsche Anarchie und dass hier viele Menschen leiden würden.«
»Da irren sie sich aber gewaltig!«, verteidigte Andrej sein Moskau. »Du hast doch selbst gesehen, dass bei uns Zucht und Ordnung herrschen. Wenn du noch etwas bleibst, zeige ich dir die Hauptstadt auch gern bei Tag. Mit meiner Plakette …« Er zog an der Kette um seinen Hals. »… kommen wir überall durch, die ist nämlich von der Sicherheit.«
»Ich habe auf einer Brücke Galgen gesehen. Da sind mindestens zwanzig Mann gehängt worden.«
»Ach die! Das waren Rebellen aus Ljuberezy, die haben erklärt, dass sie direkt mit Jaroslawl handeln wollten. Die wollten uns also keinen Zins zahlen!«
»Und die Menschen aus Jaroslawl? Haben die sich auch dem Kreml unterworfen?«
»Bisher noch nicht, Herr. Aber lange wird das nicht mehr dauern. Es machen schon allerlei Gerüchte die Runde.« Andrej senkte verschwörerisch die Stimme. »Angeblich werden wir bald zu denen hingeschickt. Diese Jaroslawler sind so was von dreist!«
»Ich habe gehört, dass Pap Iwan Feuerpilze hat«, meinte Kowal beiläufig.
»Mein Herr, darüber darf man nicht sprechen, aber …« Andrej rückte näher ans Loch heran, fast als glaube er, ihn könne jemand belauschen. »Unser weiser Präsident, mögen seine Tage voller Frieden sein, hat ein Bündnis mit den Zauberern vom Schießplatz geschlossen, dass sie uns Pulver und Granaten liefern. Außerhalb der Stadt gibt es große Keller, allerdings wissen wir nicht, wo genau. Und in denen stehen Wagen, die man wieder zum Laufen bringen kann. Auf diesen Wagen liegen Eisenrohre mit schlafenden Feuerpilzen. Die kann man mit einem geheimen Zauber wecken …«
Mit einem Mal schmerzten Kowals Schläfen. Das ist ja echt abgedreht, schoss es ihm durch den Kopf. Sollte der gute Herr Ordnung tatsächlich von Kurzstreckenraketen sprechen? Aber warum eigentlich nicht? Er stellte sich eine Armada von Lastern vor, die in einem Hangar standen, dick mit Öl eingeschmiert, die Sprengköpfe abgedeckt. Und diese Geheimräume? Waren das die einstigen Kommandozentralen, in denen die Codes für den Abschuss aufbewahrt wurden? Oder waren für diese Raketen gar keine Codes nötig?
»Weißt du was, Herr? Am Anfang hatte ich Angst, dass du zu Denjenigen gehörst, die die Erde zum Wippen bringen … Schließlich wissen alle, dass sie sich jedes Tier unterwerfen können und allein mit ihrem Blick töten. Ich hatte solche Angst, Herr, denn ich habe gesehen, dass du mit einem Messer kämpfst. Da dachte ich wirklich, an der Legende vom Erwachten Dämon sei doch was dran …«
»Was hast du da gerade gesagt?!«
»Ach, das ist bloß ein Märchen! Trotzdem glauben manche Leute es. Der
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