Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
vor zu reiten, statt mit einem Sack überm Kopf quer über dem Sattel zu liegen. Als Artur die Sattelriemen nachzog, unternahm er seinen einzigen Fluchtversuch. Unter dem Vorwand, ein großes Geschäft erledigen zu müssen, saß er noch einmal ab, verdrückte sich mit dem harmlosesten Gesichtsausdruck der Welt ins Gebüsch – und wollte sich dort klammheimlich um die Ecke stehlen. Seiner Ansicht nach schlich er garantiert auf leisen Sohlen davon, doch in Arturs Ohren veranstaltete er ein größeres Spektakel als eine ganze Herde Wildschweine an einer Tränke.
»Hochwürden«, rief Kowal sanft, nachdem er sich in Ruhe zu Ende rasiert hatte. »Kommen Sie doch bitte einmal her, ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
Fluchend stapfte Karim zurück. Er war zwar kein Feigling, schätzte seine Chancen aber realistisch ein: Einem Mann, der dreimal dem Säbel eines Gefängniswärters entkommen war – noch dazu fast ohne sich vom Fleck zu rühren –, hatte er nichts entgegenzusetzen. Als er ihn wieder erreichte, sah er den Fleder.
»Als du bedauerlicherweise ohnmächtig warst, habe ich deine Stirn abgewischt und meinen Freund hier an dem Tuch schnuppern lassen.« Das war ein Bluff, denn es war nicht ungefährlich, einen Fleder zu einem Mord anzustiften. »Solltest du dich zu weit von uns entfernen, Hochwürden, wird mein Freund dich finden. Wie ich sehe, bist du mit dem Verhalten dieser kleinen possierlichen Tierchen vertraut?«
»Ja, sie sind mir schon begegnet …«, brachte Karim kleinlaut hervor. »Allerdings keine schwarzen, sondern grüne. Als ich noch ein kleiner Junge war, hatte ich sogar einen in einem Käfig.«
»Dann stimmt es also, dass du einer von den Zauberern bist?«
»Ich gehöre zu den Wahrsagern.«
»Wunderbar! Jetzt setz dich bitte wieder aufs Pferd! Und komm ja nicht auf die Idee, dich an meinem Hals … festzuhalten.« In diesem Moment meinte Artur, hinter dem Gebäude ein Motorrad knattern zu hören. Ein zweites Motorgeräusch kam aus der Parallelstraße, in der sie sich vom Kohlenhändler Marquis verabschiedet hatten. Ist das nicht etwas viel Verkehr für ein Viertel, in dem keiner wohnt?, überlegte Artur und stieg auf. »Und verrat mir doch bitte auch … Diese Leute, die hinter der Ecke auf uns lauern – würden die auch das Feuer eröffnen, wenn sie wüssten, dass sie dich treffen können?«
Karims Miene versteinerte sich.
»Gerade schleichen sie sich von hinten an uns an, aber sie sind noch hinter dem Zaun und können uns nicht sehen.«
Artur klemmte die Zügel unter den linken Arm. Er war noch immer ein lausiger Schütze, doch gerade deshalb wollte er unbedingt als Erster einen Schuss abgeben. Mit dem in der Basilius-Kathedrale erbeuteten Gewehr, um das schwere Ding nicht länger mit sich rumzuschleppen.
Die Stute spürte die Gefahr ebenfalls, ihr Widerrist spannte sich an und sie spitzte die Ohren. Aus diesem Grund bedauerte Artur auch den Verlust des Hengstes so: Die Pferde waren im Wald aufgewachsen und reagierten feindlich auf alle Fremden.
Bis zur Ecke des massiven Institutsgebäudes blieben noch drei Meter. Einen anderen Ausgang aus dem Hof gab es nicht. Direkt vor ihnen ragte schräg die Wand des Nachbarhauses auf, links lag eine schmale Sackgasse. Unter den Hufen des Pferdes knirschten Betonsplitter. Früher hatte es hier mal eine Rampe zum Lieferanteneingang gegeben, die heute jedoch zusammen mit dem Keller in den Boden abgesackt war.
Hinter ihnen knackte ein Ast. Die Verfolger hatten den Zaun überwunden und kämpften sich durch die Büsche. Artur ließ die Zügel los und griff mit der linken Hand unter die Jacke. Er könnte durch das Eckfenster ins Haus eindringen und dann durch die Gänge des Erdgeschosses fliehen. Nur käme die Stute nicht durchs Fenster … Zurücklassen würde er das Tier jedoch unter gar keinen Umständen – nicht, wo es, im Gegensatz zu anderen, über vierundzwanzig Stunden treu auf ihn gewartet hatte.
»’nen schönen guten Tag auch!«, rief da eine tiefe, rauchige Stimme. Vier Mann kamen ihnen entgegen.
Karim zog den Kopf ein. Unmittelbar darauf begriff auch Artur, dass diese Jungs nicht zur Kremlarmee gehörten. Und dass mit ihnen nicht zu spaßen war.
»Runter vom Pferd!«, verlangte der Chef der Bande in so gelangweiltem Ton, als ob er seine tägliche Arbeit verrichtete, die ihm längst zum Hals raushing. Den Mund konnte er nicht ganz schließen, das verhinderten drei oder vier hässliche Narben auf der linken Wange. Die Mähne aus
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