Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
Ansonsten … ansonsten verhalten sich die Menschen ruhig. Und für mich ist es ein Glück, dass Arkascha zum Prä…fekten ernannt wurde. Sein Beistand erlaubt es mir zu lesen …«
»Moment! Hat der Gouverneur etwa das Lesen verboten?«
»Warum sollte er? Wer lesen kann, bitte. Aber … Schmied, diese Worte sind nicht für fremde Ohren bestimmt … Du warst gerade erst im Museum angekommen, da bist du auch schon wieder aufgebrochen. Ich hatte nicht einmal Gelegenheit, dir Samuil Krocha vorzustellen, meinen Freund, der bei den Hafenarbeitern lebt. Er kann wunderbar zeichnen. Hast du auf dem Platz das Porträt des Gouverneurs gesehen? Krocha bildet seit Langem Kinder aus, die gut mit dem Kohlestift oder dem Pinsel umgehen können. Aber heute klecksen sie alle nur den Gouverneur zusammen und erhalten für jedes Porträt einen Silberrubel. Wer sich weigert, den Gouverneur zu malen, soll sich trollen und irgendwo anders arbeiten. Wer nicht arbeiten will, muss in der Metro malochen! Aber weißt du, was sie mit den Porträts machen, Schmied? Die Leute des Gouverneurs verkaufen sie …«
»Das kann doch nicht wahr sein! Wer braucht denn diese Hackfresse?«
»Pst, ich flehe dich an, sprich nicht so laut! Dem Jungen, der das Porträt angefertigt hat, zahlen sie einen Silberrubel – aber sie verkaufen es für drei Goldrubel. Für das Geld bekommst du eine prächtige Kuh! Trotzdem werden Bilder gekauft. Arkadi hat für die Eremitage sechs Stück bestellt. Wenn der Schnauzbart uns einmal einen Besuch abstatten sollte, wird er höchst zufrieden sein!«
»Darauf kannst du wetten!«, stieß Kowal aus, der sich fragte, wann dieser Albtraum eigentlich ein Ende nähme.
»Krocha hat dann angefangen zu trinken«, fuhr Lew in traurigem Ton fort. »Ich selbst darf inzwischen keine Kinder mehr unterrichten, denn heute lernen alle zusammen im Alexander-Newski-Kloster. Dort haben die Kirchenleute eine Schule eröffnet. Morgens beten sie vor dem Porträt des Gouverneurs und lesen im Chor die Berichte von seinen großen Taten … Du kannst nachts jedes Kind wecken und es fragen, wie viele Pud Kartoffeln wir in diesem Jahr mehr geerntet hätten als im letzten. Glaub mir, es wird die Antwort wissen.«
Lew stockte, dachte nach und begann erneut: »Ich hatte früher einen Schüler, dessen Großvater Torf zum Heizen in die Stadt gebracht hat. Vor fünf Jahren hat er das schon getan, daran hat sich nichts geändert, und er wird auch künftig mit seinem Karren Torf fahren. Bis zu seinem Tod. Er hat früher einen Laib Brot am Tag und fünf Silbermünzen im Monat bekommen, das erhält er auch heute noch, nur dass der Gouverneur statt Silber heute Kupfer zahlt, denn Silber wird gebraucht, um Öl zu kaufen. Die Kirchenleute bläuen den Kindern in der Schule ein, dass wir in diesem Jahr sechs Pud mehr Silber in der Staatskasse haben als im letzten und dass wir in sechs Jahren den Vorrat verdoppeln werden. Aber der Alte fährt den Torf, ihm ist völlig einerlei, was sich da in sechs Jahren verdoppelt. Denn diese Verdoppelung wird er vielleicht gar nicht mehr erleben … Also, es ist zwar nicht verboten, den Kindern aus den alten Büchern vorzulesen, aber ich soll mich vornehmlich um Bücher zu Medizin und Ingenieurswesen kümmern. Alle anderen Bereiche halten sie im Grunde für schädlich. Deshalb lebe ich ständig in der Angst, dass eines Tages der Befehl erlassen wird, diese Bücher zu verbrennen …«
»Lass mich das erst einmal alles verdauen, Lew!« Kowal tigerte durch den Raum und rieb sich die Ohren. »Ohne Ausweis komme ich also nicht weit?«
»Ohne Ausweis kommst du nirgendwohin. Und Arkascha kann dir keinen geben. Den erhältst du nur auf Befehl am Isaaksplatz.«
»Und ich darf nicht selbst bestimmen, wo ich lebe?«
»Fünfzig Kilometer vor der Stadt schon, da kannst du dich überall niederlassen. Aber wie du da über die Runden kommen willst … Außerdem muss ich dich warnen: Wenn du dir einen Ausweis besorgst, musst du zustimmen, bei einem Gesellen oder Meister zu arbeiten.«
»In der Eremitage bleiben kann ich also nicht? Obwohl es hier genug Platz gibt?«
»Hier laufen überall Kanzlisten rum, die die Augen offen halten«, brummte Lew. »Wenn du dich nicht versteckst, wirst du verkauft. Von unseren eigenen Leuten. Glaub mir, es ist schlimm um die Menschen bestellt, Artur, früher hat es dergleichen nicht gegeben. Sie bespitzeln einander. Mir jagt das Angst ein. Nachts schlafe ich nicht mehr, solche Angst habe ich … Zwar
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