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Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)

Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)

Titel: Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vitali Sertakov
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haben alle genug zu essen, selbst die alten Feiertage begeht man wieder, zu Neujahr tanzt man einen Reigen und zündet Kerzen an einem Tannenbaum an … Trotzdem habe ich Angst. Samuil ist dem Alkohol verfallen, Charly trinkt, Sappeur amüsiert sich … Dann gab es da noch den kleinen Sanetschka, in der Kommune des Bürgermeisters, er konnte auf dem Klavier spielen und Noten lesen. Außer ihm besaß niemand diese Fähigkeiten. Er sollte in der Duma Klavier spielen, aber das hat er abgelehnt, stattdessen wollte er wie bisher Kinder unterrichten. Das wurde ihm jedoch untersagt. Und das Klavier haben sie ihm auch zerschlagen. Daraufhin ist er in den Norden geflohen, jemand will ihn bei den Norwegern gesehen haben … Selbst wenn du in einem alten versumpften Haus ohne Papier angetroffen wirst, wanderst du heute ins Gefängnis. Oder wirst erschossen, da kennen diese Männer nichts. Für jeden Vagabunden, den sie schnappen, wird ihnen mehr bezahlt, als ein Offizier Sold erhält.«
    »Das war schon immer so!«, sagte Kowal. »Aber gut, Lew, pass auf! Ich verlasse dich jetzt. Ich hatte heute Morgen an einem der Kontrollposten einen kleinen Streit. Und ich will nicht, dass du meinetwegen in Schwierigkeiten gerätst. Wir sehen uns später wieder! Aber sag niemandem, dass ich zurück bin, ja?«
    »Das versteht sich leider von selbst«, erwiderte Lew mit einem traurigen Lächeln. »Wo wirst du denn bleiben?«
    »Ein guter Mensch hat mir einen Rat gegeben …«, antwortete Artur und fütterte den Fleder etwas verspätet mit einem Stück Speck. »Ich habe seine Worte zunächst nicht verstanden, aber jetzt sind sie mir klar. Ich soll das kleinere Übel zum Verbündeten wählen.«

(39)
    DAS KLEINERE ÜBEL
    Artur verzichtete auf eine Fackel. Seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit, und der Rauch hätte nur seinen Geruchssinn beeinträchtigt. In der letzten Woche hatte er die Stadt dreimal verlassen und war dreimal in sie zurückgekehrt, um sich umzuziehen und ein neues Pferd zu kaufen, damit niemand auf das Rassetier aufmerksam wurde. Sein altes Tier hatte er in der Obhut Lews gelassen, sein Gepäck und die beiden Schusswaffen in der Kapsel im Institut versteckt. In der Kanalisation der Stadt hätten die ihm eh nicht helfen können. Nun war er nach vier Jahren wieder an dem Ort, an dem einst sein Weg nach oben begonnen hatte.
    Beim Gang durch die leere Abteilung V hatte er gemischte Gefühle. In diesem Fahrstuhlschacht war er aus dem Keller geklettert, mit vor Panik feuchten Händen, weil er sich nicht vorstellen konnte, was ihn oben erwartete. Bei jedem Rascheln war er damals zusammengezuckt … Hinter dieser Tür lag der Raum, in dem Mirsojan und Denissow vor undenkbaren Zeiten über Fußballspiele oder eine neue Kollegin diskutiert hatten … Hier war er zum ersten Mal einem dieser kahlen Hunde begegnet. Heute Abend hoffte er nun auf eine solche Begegnung – doch im Institut herrschte absolute Stille, nur auf dem Dachboden gurrten die Tauben. Und ein abgerissener Fensterrahmen klapperte im Wind. Ansonsten war das Institut so tot wie ein Ozeandampfer, der für immer seine treue Crew verloren hatte. Für immer, wiederholte Artur bei sich. Die Wörter perlten über seine Lippen wie vertrocknete Beeren, fast ohne Geschmack, aber leicht bitter.
    Das Säuberungskommando war hier sicher auch schon gewesen, aber die beiden Gebäude schienen ihm wohl nicht geeignet, um Menschen darin einzuquartieren. Die Reste des Parketts waren ebenso verschwunden wie die Treppengeländer und Türen. Sogar die Wandverkleidung war herausgerissen worden. Kurzum, es fehlte alles, was sich irgendwie verfeuern ließ. Die ruhmreichen Büttel hatten den Leichen sogar die Schuhe ausgezogen. Dutzende von Stiefelabdrücken hatten sich im jahrhundertealten Staub eingeprägt …
    Durch die Luke im Kesselraum kletterte er in die Kanalisation hinunter. Das große Rohr, in das er gelangte, zeigte eine leichte Neigung, sodass er vermutete, es müsse nach zweihundert Metern unter der Newa verlaufen. Er zählte seine Schritte. Wenn einem weder Augen noch Nase weiterhalfen, gab es nur zwei sichere Anhaltspunkte zur Orientierung: Man musste auf seinen sechsten Sinn vertrauen. Oder die Schritte zählen.
    Nach fünfzig Metern gelangte er an eine Gabelung und sah durch einen Gully weit über sich ein kleines Stück Himmel. Er befand sich in einem der Sammelrohre. Der Dreck unter seinen Füßen schmatzte nicht mehr, sondern knisterte wie vertrocknetes Laub.

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