Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
untergehen lassen?«, wollte Artur mit ebenfalls gesenkter Stimme wissen. »Selbst wenn diese Stadt verlassen war …«
In der Ferne schlug mit lautem Klang eine Glocke, der eine zweite in einem etwas höheren Ton antwortete, ehe dann wieder alles verstummte. Der Vampir auf dem Globus kratzte mit den Krallen über das lackierte Holz. Artur fiel ein, dass er ein ähnliches Geräusch im Keller des Instituts gehört hatte. Fleder – das wusste er inzwischen – schalteten mit den giftigen Stacheln an ihrem Schwanz selbst einen erwachsenen Wolf aus. Und bei Tage suchten sie in den feuchten Kellern der Stadt Unterschlupf …
»Die Wipper sind im Grunde … keine Menschen«, erklärte Lew ohne jede Ironie. »Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Es ist sehr schwer, etwas zu beschreiben, das ich selbst noch nie gesehen habe. Diese … Wesen spüren die sensiblen Punkte unseres Universums und versetzen die Erde in Schwingungen … Sie hetzen die Natur gegen den Menschen auf. Ihrer Ansicht nach hat Gott seine Arbeit im Jahr des Großen Todes nämlich nicht zu Ende gebracht. Außer ihnen gibt es noch andere … merkwürdige Wesen. Wir nennen sie Röchler oder Kinder des Dschingis Khan. Das sind wilde Reiterbanden. Sie nehmen Rauschdrogen zu sich und sind völlig unberechenbar. Es sind die Kinder derjenigen, die vor der Katastrophe in Dörfern lebten. Ihnen liegt der Neid im Blut und ihre Legenden preisen den Hass. Einige dieser Banden sind bis auf das Niveau primitiver Stämme zurückgefallen. Von der russischen Sprache sind ihnen nur Vulgärausdrücke geblieben, wobei die Röchler wegen der Rauschdrogen früh die Stimme verlieren und selbst diese Kraftausdrücke nur krächzend ausstoßen können. Als wir mit ihnen Kontakt aufnehmen mussten, haben wir eigens für sie dieses Teufelszeug von Wodka gebrannt; ist dieses Gesöff doch das Einzige, was sie wirklich schätzen. Sobald sie ein Haus betreten, erledigen sie mit Vorliebe ihr großes Geschäft genau in dem Zimmer, in dem sie essen. Das hindert sie indes nicht daran, beheizte Räume und warmes Wasser zu schätzen. Stets wollen sie alles auf einmal, ohne im Gegenzug irgendetwas dafür zu tun. Manchmal stürmen sie in eine Stadt, um Frauen zu entführen. Deshalb auch die Wachen auf der Brücke. Solange die Metro noch in Betrieb ist, kann uns von Norden niemand angreifen. Die Kommunen im Süden sind jedoch bereits zweimal ausgeraubt worden. Aber das würde jetzt zu weit führen … Siehst du die schwarzen Fähnchen mit den Daten? Sie bezeichnen die Orte, an denen Karawanen verschwunden sind.«
»Weil sie überfallen wurden?«
»Wahrscheinlich. Noch vor zwanzig Jahren haben wir mit Jekaterinburg, Nishni Nowgorod und Perm gehandelt, davor hat der Bürgermeister sogar noch Waren nach Nowosibirsk und Krasnojarsk entsandt. Doch dann mussten wir die Route nach Sibirien aufgeben, obwohl sich dort etliche Dinge finden, die uns hier fehlen. Als Nächstes haben wir dann keine Karawanen mehr in den Ural geschickt.«
»Existieren die alten Schienenstrecken eigentlich noch? Oder ziehen die Karawanen etwa zu Fuß durchs Land?«
»Die Schienenstrecken? Ah, du willst auf Dampflokomotiven hinaus! In Moskau versucht man gerade, sie wieder einzusetzen. Außerdem habe ich einmal Kesselheizer aus Nowosibirsk hier in Piter getroffen. Sie wollten bei uns Loks kaufen. Im Süden gibt es nämlich ein ganzes Museum mit alten Maschinen, aber keine Kohle. Die liegt im Ural und in Kemerowo …«
»Ja und?«, fragte Kowal, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Nichts und. Sie sind mit der Karawane des damaligen Bürgermeisters aufgebrochen, haben Nowosibirsk aber nie erreicht. Die Karawane ist einfach unterwegs verschwunden. Willst du etwas Gebäck?«
»Nein danke.« Wenn Artur etwas wollte – und zwar dringend –, dann war das frische Luft. Die Bücherschränke schienen sich bereits um ihn zu drehen und die Luft mit den Ausdünstungen von Schimmel und Tod zu schwängern. Als ob es … Millionen von toten Menschen wären, deren Asche nun Monster gebar … »Und diese Karawane, die morgen aufbricht? Wenn der Weg so gefährlich ist …«
»Auf der Straße nach Moskau müssen wir weder mit Röchlern noch mit Dschingissen rechnen. Arina hört sie über Dutzende von Kilometern im Voraus. Und eine ernsthafte Bedrohung stellen nur diese beiden Gruppen für uns dar. Man darf jedoch gar nicht erst anfangen, den Handel einzuschränken …«
»Ja, das verstehe ich. Entweder bauen wir eine
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