Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
aufrechtzuerhalten, aber diese Hexer sind noch schlimmer als die Kirchenleute, denn sie drängen die Menschheit nicht zu Gott, der uns verlassen hat, sondern locken sie in den Wald. Komm, ich zeig dir etwas!«
Lew nahm einen schweren silbernen Kerzenhalter vom Tisch und bedeutete Kowal, ihm zu folgen. An einer Wand hingen zwei riesige Karten, eine von Petersburg, eine von Russland.
Artur sah sie sich genau an. Sie waren im Jahr 2020 herausgegeben worden. Sechs Jahre vor dem Großen Tod. Auf der Karte Petersburgs waren mit bunter Kreide Linien gezogen worden, in der Karte Russlands steckten im europäischen Teil einige kleine Fähnchen.
»Das hier ist unser Gebiet. Es reicht von der Palastbrücke den ganzen Newski runter bis zum Alexander-Newski-Kloster. An der Newa zieht es sich bis zur Robespierre-Uferstraße, im Süden bis zur Nikolaus-Marine-Kathedrale. Und das hier sind die Routen der Karawanen …«
»Einen Moment bitte! Ich habe Daljar und Louis doch auf der Petrograder Seite getroffen!«
»Mam Kate garantiert uns Sicherheit. Weil wir ihre Leute medizinisch behandeln. Wir haben nämlich ein hervorragendes Labor und das beste Krankenhaus in der ganzen Stadt. Darüber hinaus kriegen wir von ihnen Papier und Stoff, außerdem stellen sie uns Soldaten für die Karawanen als Geleitschutz zur Verfügung. Mam Kate kontrolliert den Weg nach Norden, hoch bis nach Finnland.«
»Wieso sind dann Einschusslöcher in den Palastmauern?«
»Keine Sorge, die Kämpfe in der Stadt sind seit Langem vorbei. Wenn jetzt noch einmal eine kleine Bande einen Mord begeht, schließen sich alle gegen diese Schurken zusammen. Sie werden vernichtet wie tollwütige Wölfe.«
»Oder wie Bullterrier?«
»O nein, das bestimmt nicht. Die Bullterrier zu töten wäre dumm, schließlich halten sie uns die Ratten vom Leib.«
»Wozu sind dann die Kanonen, der Stacheldraht und die Wachtposten da? Welche Gefahr droht dem Palast denn?«
In den tanzenden Flammen der Kerzen glich Lews traurige Miene dem faltigen Gesicht eines Waldschrats. Schweigend betrachtete er die Zimmerdecke, seufzte schließlich schwer und antwortete: »Das wollte ich dir sowieso noch erzählen. Es hängt mit einem Aberglauben zusammen, der vielleicht nicht nur Aberglauben ist. Vor zwei Monaten sind unsere Brieftauben nicht aus Gattschina zurückgekehrt. In der ehemaligen Zarenresidenz lebt heute eine große Cowboy-Kommune. Du musst wissen, es gilt als schweres Verbrechen, den Cowboys Schaden zuzufügen, denn sie züchten Vieh und backen Brot.«
Lew atmete tief durch. Er fingerte ein Stück Dörrfleisch aus der Tasche und schnippte es dem Fleder zu. Der Vampir, der eben noch in tiefen Schlaf versunken schien, reckte den Hals vor und fing es mühelos auf.
»Und was ist mit den Cowboys geschehen?« Kowal leckte sich die Lippen. Nach all diesen Geschichten gruselte es ihn ohnehin bei dem Gedanken, nachher allein durch die dunklen, unheimlichen Gänge des Winterpalasts zurückzustapfen und Daljars Zimmer zu suchen.
»Etwas, das für uns nach wie vor ein Rätsel darstellt. Die Kühe und die Schweine sind von heute auf morgen tollwütig geworden, selbst das Federvieh musste getötet werden. Viele Menschen sind erkrankt … Man muss das mit eigenen Augen gesehen haben, denn es ist schwer zu beschreiben. Du wirst mir nicht glauben, was ich dir jetzt erzähle, doch es gibt Wesen, die können Pflanzen beeinflussen. Niemand würde sich je an den Cowboys vergreifen, denn sie wissen sich zu verteidigen. Selbst die kleinen Banden stellen ihnen Arbeitskräfte zur Verfügung. Doch es machen Gerüchte die Runde, dass Wipper in der Nähe der Stadt gesehen wurden. Wipper – das sind Menschen, die die Erde zum Wippen bringen können.« Lew senkte die Stimme: »Vor einem Monat hat die Duma getagt. An dieser Sitzung haben sogar die Zauberer von den Seen teilgenommen, die die Duma früher immer ignoriert haben. Aber nachdem die Wipper die Stadt Wologda dem Erdboden gleichgemacht haben …«
»Bitte?!«
»Oh … die Stadt war völlig verlassen. Aber die Karawanen aus dem Osten haben auf ihrem Weg zur Nordsee stets dort haltgemacht. Vor fünf Wochen ist Wologda jedoch geradezu vom Wald verschluckt worden. Die Wipper sind zu solchen Kapriolen durchaus fähig. Wir haben freilich immer angenommen, sie würden ihren Schabernack nur hinter dem Ural treiben. Viele Menschen glauben gar, bei ihnen handle es sich lediglich um eine Legende …«
»Aber wie können sie eine ganze Stadt im Wald
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